Persilschein
eine kleine Chance immerhin. »Wenn wir im Kaufhaus Erfolg hatten, bringe ich Sie zu Frau Schaller. Dort sollten Sie bleiben, bis wir den Fall aufgeklärt haben. Im besten Fall sitzt der Täter in wenigen Stunden hinter Gittern.« Der Hauptkommissar verschwieg seine Zweifel. »Sind Sie bereit?«
Ihr »Ja« erfolgte erst nach langem Zögern.
Nur wenig später parkten sie mit dem Auto vor dem Nebeneingang des Kaufhauses. Auch an der Fassade in der ruhigeren Nebenstraße prangte unübersehbar der Schriftzug Warenhaus Trasse . Trasse. Dieser Name war Goldstein ein Begriff. Kurz vor Ende des Krieges hatte er den Fall einer ermordeten Zwangsarbeiterin untersucht. In das Verbrechen involviert waren der stellvertretende Kreisleiter der Nazipartei in Herne und dessen Frau. Sie war eine gebürtige Trasse und vor Abschluss der Ermittlungen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Wenn er sich richtig erinnerte, stand ihr Vater damals unter dem Verdacht, Hehlerware verschoben zu haben. Und ihm gehörte ein Kaufhaus. Nachzuweisen jedoch war dem Kaufhausinhaber nichts, obwohl Goldstein starke Indizien gegen Trasse gesammelt hatte. Seine Untersuchungen waren aus politischen Gründen hintertrieben worden. Und daran trug sein damaliger und heutiger Vorgesetzter Saborski eine gehörige Portion Schuld.
Goldstein schüttelte den Kopf, als ob er so die unheilvollen Gedanken an diese Zeit vertreiben könnte. Prompt holte ihn Mechthild Krafzyk zurück in die Gegenwart.
»Da vorne. Das ist er!« Sie zeigte aufgeregt mit dem Finger auf eine Gruppe Menschen, die gerade das Warenhaus verließen. »Der mit dem dunklen Mantel und dem Hut.«
Goldstein wies den Fahrer an, den Motor zu starten. Als das Fahrzeug an dem Verdächtigen vorbeifuhr, duckte sich Mechthild Krafzyk tief in das Polster der Rückbank. Umso genauer musterte der Hauptkommissar den Mann. Er kannte ihn. Aber woher? Und dann fiel es ihm ein. Central Café . Das Treffen mit Bos. Der Kerl hieß Wolfgang Müller. Und dessen Anschrift fand sich in seinem Notizbuch.
»Sie sind sich ganz sicher?«, fragte der Kommissar zum erneuten Mal.
Mechthild Krafzyk griff Goldsteins Hand und drückte sie. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Jetzt ja. Er war in dieser Nacht auf dem Trümmergrundstück und hielt das Messer in der Hand. Und er stand vor unserem Haus. Das ist der Mörder.«
Für einen Moment erwog Goldstein, Müller sofort festzunehmen. Dieser jedoch nahm ihm die Entscheidung dadurch ab, dass er einen Fußweg zwischen zwei Gebäuden benutzte, in den sie ihm mit dem Wagen nicht würden nachfahren können. Und bis sie die Verfolgung zu Fuß aufgenommen hätten, wäre der Mann wahrscheinlich schon über alle Berge. Nein, es war besser, zu warten. Müller fühlte sich anscheinend sicher.
19
Freitag, 29. September 1950
Heinz Breitschneider warf in der Ritze eine Runde nach der anderen. »Leute, heute lade ich euch ein. Wir hauen richtig auf die Pauke und lassen die Puppen tanzen!«, rief er mit schwerer Zunge und orderte noch fünf Bier und Kurze.
»Wo hasse denn die ganze Knete her?«, lallte einer seiner Zechkumpane.
»Dat kann ich nich sagen. Is geheim.«
»Geheim?«, echote ein zweiter. »Wat kannst du denn schon Geheimes wissen?«
»Nun spuck’s schon aus«, forderte ein weiterer.
»Wenn ich euch dat erzählen würde, wär’s ja nich mehr geheim«, stellte Breitschneider mit der Logik eines Betrunkenen fest. »Von mir erfahrt ihr nix, dat sach ich euch. Abba eins is sicher: Noch nie hab ich für ’ne Unterschrift und ’n bisschen Labern so viel Geld gekricht.« Die Bestellung wurde serviert. »Is getz auch egal. Prost!«
Sie tranken weiter. Gegen zwei Uhr morgens waren sie nur noch zu dritt. Breitschneider schaute in die Runde und babbelte. »Einer geht noch.« Sein linker Sitznachbar hob den Kopf, glotzte Breitschneider aus glasigen Augen an und sagte nur: »Nee.« Dann ließ er seinen schweren Schädel auf die Tischplatte sinken.
Breitschneider hob die rechte Hand und streckte Daumen und Zeigefinger zur Theke. »Zwei. Wieder dat Gleiche.«
Kurz darauf standen die vollen Gläser vor ihnen. Breitschneider kippte den Korn auf ex und schüttelte sich. »Brr. Getz noch dat Pilsken un dann is Schluss. Ich muss früh raus.«
Er zahlte, verließ das Lokal und machte sich mit unsicheren Schritten auf den Weg nach Hause. Am Herner Bahnhof starrte er angestrengt auf die Fahrpläne. Erst langsam dämmerte ihm, dass der nächste Zug in Richtung Herne-Börnig
Weitere Kostenlose Bücher