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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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tun, andere zu verstehen und ihnen Einsicht zu vermitteln. Schließlich geht es auch um die Fähigkeit, sich selbst zu verstehen. Hiermit wollen wir uns in diesem und dem nächsten Kapitel beschäftigen.

Warum ist es schwierig, andere zu verstehen und ihnen Einsicht zu vermitteln?
     
    Gehen wir von drei typischen Situationen aus: (1) Ein Freund kommt zu mir und teilt mir mit, er wolle nach zwanzig Jahren Ehe seine Frau verlassen, weil er es mit ihr nicht mehr aushalten könne. (2) Ein Mitarbeiter im Verkaufsbereich meines Betriebs bringt nicht die erwartete Leistung und hat überdies durch ungeschicktes Vorgehen einigen Schaden angerichtet (ein wichtiger Kunde wurde verloren). Als sein Vorgesetzter spreche ich mit ihm über die Situation und versuche ihn von einer Versetzung in den Innendienst zu überzeugen, wo er seine Fähigkeiten besser einsetzen kann, was allerdings mit finanziellen Einbußen verbunden ist – die Alternative wäre ein »Rauswurf«. (3) Mein Sohn will (rein fiktiv!) das Studium hinschmeißen und endlich seinen Lieblingstraum verwirklichen, Musiker zu werden und mit seiner Band auf Tour zu gehen.
    Ich rede mit den drei Personen und versuche, Einsicht herzustellen bzw. zu vermitteln. Leider erlebe ich das, was in solchen Situationen die Regel ist, nämlich dass mein Rat entweder gar nicht angehört wird oder dass er vernommen, aber nicht akzeptiert wird, oder dass er akzeptiert wird, aber die Person folgt dennoch nicht unserem Rat. Selten genug zeigen die Betroffenen nicht nur Einsicht, sondern folgen auch unserem Rat. Warum ist dies so?
    Im ersten Fall mangelt es nicht an gutem Willen. Mein Freund kommt mit seinen Beziehungsproblemen zu mir, und wir diskutieren den ganzen Abend lang über seinen Entschluss, seine Frau zu verlassen. Er berichtet, sie nörgele ständig an ihm herum, und ein bestimmtes Vorkommnis habe das Fass zum Überlaufen gebracht (sie hat ihn seiner Meinung nach vor anderen Leuten lächerlich gemacht). Ich kenne nicht nur ihn, sondern auch seine Frau gut und weise (wie man das so tut) darauf hin, dass auch er seine Fehler hat und die »Schuld« nicht nur bei ihr liegt, und dass im Großen und Ganzen die Beziehung bisher ja gut gelaufen ist. Ich vergewissere mich, dass es bei ihm nicht etwa um eine »Neue« geht, halte ihm seine augenblicklich ungesicherte berufliche Situation vor Augen, weise auf die Kinder hin, die noch zur Schule gehen, auf die finanziellen Risiken einer Trennung bzw. Ehescheidung (das Haus muss noch abgezahlt werden). Kurzum, ich tue mein Bestes, um ihn davon abzuhalten, sehenden Auges ins Verderben zu rennen, und schlage das Hinzuziehen eines Eheberaters vor. Er verspricht mir, sich die Sache noch zu überlegen, aber kurze Zeit später ist er ausgezogen, und das Elend nimmt seinen Lauf.
    Im zweiten Fall schildere ich meinem Mitarbeiter freundlich, aber in aller Klarheit die Situation, nämlich die Tatsache, dass er auf seinem jetzigen Posten einfach der falsche Mann ist, dass er einen schweren Fehler begangen hat und deshalb versetzt werden muss. Er könne von Glück sagen, dass man ihm nicht sofort kündigt. Ich mag den Mitarbeiter und möchte ihm eine Chance geben, allerdings kann er auf seinem Posten im Innendienst keinesfalls so viel verdienen wie bisher. Ich versuche aber, den Prestigeverlust möglichst gering zu halten. Dennoch stoße ich nicht auf Gegenliebe, der Mitarbeiter zeigt keinerlei Einsicht, kommt mit allen möglichen Entschuldigungen und wirft mir und seinen Kollegen auch noch unfaires Verhalten vor. Er kündigt schließlich, obwohl er im Augenblick keine neue Stelle in Aussicht hat.
    Auch bei meinem Sohn stoße ich auf taube Ohren. Ich weiß, dass seine musikalischen Talente nicht seinen eigenen Einschätzungen entsprechen, ich schildere ihm, dass das Musikerleben ein sehr entbehrungsreiches Leben ist. Ich beschwöre ihn, das fast fertige Studium zu beenden, dann könne er tun, was er wolle. Es hilft nichts, er wirft mir mangelndes Verständnis vor, verlässt das Elternhaus und geht mit seinen Freunden »auf Tour«. Auch hier nimmt das Unheil seinen Lauf.
    In allen drei Fällen besteht das Grundproblem darin, dass die Argumente auf meiner Seite eigentlich ganz klar und einsichtig sind. Wie konnte man sich ihnen verschließen und sehenden Auges ins Unglück rennen? Die einfachste Antwort würde lauten, dass alle drei Personen »blind« für die Vernunft sind. Mein Freund hatte die Nase von seiner Beziehung so voll, dass er es nicht mehr

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