Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
zuhause aushalten konnte. Offenbar hatte der tägliche eheliche Kleinkrieg ihn mürbe gemacht. Mein Mitarbeiter war so voller Wut und Enttäuschung über die Versetzung und Zurückstufung, dass er diese Erniedrigung nicht aushalten konnte. Und mein Sohn konnte seinem Lebenswunsch, Musiker zu werden, nicht widerstehen. Alle drei haben ganz offensichtlich meine Argumente nicht verstanden oder nicht eingesehen.
Ein solches Verhalten fügt sich natürlich in das Schema ein, das wir zuvor ausführlicher behandelt haben, dass Menschen von ihren Affekten und Gefühlen oft »überwältigt« werden und dass dies ihre Fähigkeit lähmt, Verstand und Vernunft walten zu lassen und die mittel- und langfristigen Konsequenzen ihres Handelns abzuschätzen. Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Es ist ja allen drei Personen nicht einfach alles egal, sondern sie haben die Hoffnung, ihre Entscheidung könne ihre Gesamtsituation bessern. Mein Freund will sich von einer ihm aussichtslos erscheinenden Beziehungssituation befreien und damit auch die Chance für eine neue, befriedigendere Beziehung erhalten. Mein Mitarbeiter geht offenbar davon aus, dass in unserem Betrieb sowieso alle gegen ihn sind und seine Fähigkeiten nicht anerkennen – also geht er besser, auch wenn er damit eine gewisse Durststrecke riskiert. Mein Sohn wägt die hohe Attraktion seines Lebenswunsches gegen das langweilige Studium ab und entscheidet sich für das erstere Ziel. Irgendwie sind auch diese Entscheidungen logisch, nämlich »affekt-logisch«, wie der Schweizer Psychiater und Psychotherapeut Luc Ciompi sagt. Rationalität und Emotionalität bilden danach nämlich eine »Gesamt-Logik«, die allerdings höchst individuell bis »idiosynkratisch« ist, d. h. bis ins Marottenhafte hineinreicht.
Jeder lebt in seiner Welt
Jemanden verändern zu wollen, setzt voraus, dass man sein Fühlen, Denken oder Handeln hinreichend versteht. Nur dann kann man »den Hebel richtig ansetzen«. Was aber bedeutet es, jemanden zu verstehen?
Bei einem Kommunikationsakt wird aus klassischer kommunikations- und informationstheoretischer Sicht von einer Person, dem Sender , einer anderen Person, dem Empfänger , eine Botschaft, Nachricht oder Information übermittelt. Der Sender »codiert« seine Botschaft in kommunikative Signale (Sprachlaute, Schriftzeichen, eventuell auch nichtverbale kommunikative Signale wie Gesten, Mimik, Körperhaltung), der Empfänger nimmt sie auf und »decodiert« sie. Die Kommunikation war dann erfolgreich, wenn der Empfänger verstanden hat, was der Sender meinte , und dies ist dann der Fall, wenn die im Empfänger decodierte Nachricht mit der Nachricht identisch ist, die der Sender ursprünglich codiert hat.
Eine solche Informationsübertragung kann dadurch bedroht sein, dass die Nachricht gestört ist, weil ich etwa zu leise oder zu undeutlich gesprochen habe, weil die Störgeräusche zu stark waren oder weil der Empfänger nicht richtig hingehört hat. Ebenso kann sie dadurch bedroht sein, dass in der Nachricht bestimmte »Signale« enthalten sind, die der Empfänger nicht »decodieren« kann, sprich: die ihm nichts sagen. Das ist etwa der Fall, wenn ich jemanden auffordere: »Gib mir bitte den Hoxer!« oder wenn ich ihm mitteile: »Ich fühle mich sehr kolbig!«. Allgemein gesprochen handelt es sich um den Fall, dass Sender und Empfänger nicht über denselben Zeichen-Vorrat verfügen, und dann kann die Decodierung nicht klappen.
Trotz vieler Bemühungen der Informations- und Kommunikationstheorie ist es bisher nicht gelungen, dieses aus der Nachrichtentechnik stammende Informationsübertragungs-Paradigma auf menschliche Kommunikation zu übertragen. Dies liegt an mindestens zwei Dingen. Erstens gibt es zwischen Menschen nicht notwendigerweise einen gemeinsamen Zeichen-Vorrat, wie dies bei einer technischen Signalübertragung selbstverständlich ist. Um meinen Computer zu veranlassen, irgendetwas bestimmtes zu tun, muss ich festgelegte Signale eingeben, sonst passiert nichts oder etwas nicht Beabsichtigtes. Das ist – von speziellen Ausnahmen abgesehen – zwischen menschlichen Kommunikationspartnern nicht der Fall: Niemand setzt sich im Alltagsleben mit einem möglichen Kommunikationspartner hin und vereinbart vor einem Gespräch einen gemeinsamen Zeichen-Vorrat. Das wäre auch schwierig, denn dazu brauchte er bereits ein minimales gemeinsames Signalrepertoire (das nennt man das »Bootstrap-Problem«). Vielmehr läuft es in weiten Bereichen
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