Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
das kann mit dem materiellen Gehirn nicht direkt etwas zu tun haben (wobei der Geist doch irgendwie auf das Gehirn einwirken kann!). Diese dualistische Auffassung hat in den letzten beiden Jahrzehnten durch Untersuchungen von Psychologen und Neurobiologen dramatisch an Anerkennung verloren. Auf die komplizierten Einzelheiten dieser Bewusstseinsforschung kann ich hier nicht eingehen, sondern will nur die wesentlichen Erkenntnisse schildern. Weiterführende Literatur zu diesem Thema habe ich am Ende dieses Buches aufgeführt.
Bewusstsein ist nach heutiger neurowissenschaftlicher Kenntnis unabdingbar an eine hinreichende Aktivierung der Großhirnrinde gebunden. Die Großhirnrinde ist daher – wie seit langem vermutet wurde – der »Sitz des Bewusstseins«, wenngleich nicht der ausschließliche Produzent. Bewusstsein entsteht in der Großhirnrinde, wenn bestimmte unbewusst arbeitende Bewertungsmechanismen, z. B. der Hippocampus, thalamische und limbische Kerne sowie die retikuläre Formation, einen bestimmten Wahrnehmungsinhalt oder auch unbewusste Wünsche oder Motive als »wichtig« und »neu« beurteilen. Das bedeutet nämlich, dass sich das Gehirn damit befassen sollte (»wichtig«) und dass es noch kein Routineverfahren besitzt, um dieses Problem zu erledigen (»neu«). Wenn bestimmte Vorgänge dagegen unwichtig sind, dann werden sie erst gar nicht weiterverarbeitet und verschwinden. Wenn sie wichtig und bekannt sind und es im Gehirn irgendwo ein entsprechendes Bearbeitungsprogramm gibt, dann wird dieses Programm angestoßen, ohne dass das Bewusstsein überhaupt eingeschaltet werden muss, oder wir merken nur, dass wir etwas tun, aber nicht wie (es handelt sich also um ein nur begleitendes Bewusstsein).
Im Fall von wichtig und neu gelangen die entsprechenden Inhalte zuerst in die unbewusst arbeitenden sensorischen Areale, wo sie nach einfachen Details sortiert werden, und anschließend in die assoziativen Areale der Großhirnrinde, wo sie mit den unterschiedlichsten Inhalten des Gedächtnisses und dadurch mit Bedeutungen verbunden werden. Anschließend werden diese beiden Verarbeitungsprozesse zusammengefügt, und dies ist nach gegenwärtiger Auffassung der Augenblick, in dem die Inhalte in Details und Bedeutung bewusst werden. Dies alles dauert im Normalfall rund eine drittel Sekunde, von der wir selbstverständlich nichts merken. Wenn wir etwa vor der Aufgabe stehen, ein uns im ersten Augenblick fremd vorkommendes Gesicht zu identifizieren, so werden die vom Gesicht ausgehenden Seheindrücke mit Inhalten unseres Gesichtergedächtnisses verglichen, und dies führt dann etwa zur bewussten Erkenntnis, dass dies der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer sein müsse. Entsprechendes passiert, wenn wir einen Gegenstand oder ein Bauwerk als X oder Y erkennen, über die Bedeutung eines Satzes nachdenken oder uns überlegen, wie wir eine bestimmte Handlung ausführen: Immer muss unser Gehirn vorhandene Bruchstücke von Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gedächtnisinhalten schnell neu zusammensetzen und damit neue Inhalte schaffen.
Die Großhirnrinde besteht, wie dargestellt, aus ungefähr 15 Milliarden Nervenzellen (überwiegend so genannte Pyramidenzellen), die untereinander über schätzungsweise eine halbe Trillion Synapsen verbunden sind. Sie bildet einen gigantischen »assoziativen Speicher«, der hervorragend geeignet ist, vorhandene »Bruchstücke« der Wahrnehmung und des Gedächtnisses schnell zu neuen bedeutungshaften Inhalten zusammenzufügen, z. B. bestimmte Abfolgen von Sprachlauten zu Wörtern und Sätzen, und diesen dann auch noch einen bestimmten Sinn zu geben. Dies gilt auch, wenn wir bei einem Sinneseindruck durch unsere Aufmerksamkeit »genauer hinschauen«. Dann werden im Cortex besondere Mechanismen der Detailverarbeitung nach Art einer kognitiven Lupe angeschaltet, und wir sehen plötzlich Dinge, die uns vorher entgangen sind. Die corticalen Synapsen können schneller als Synapsen im übrigen Gehirn ihre Leitfähigkeit und damit die dynamische Verknüpfungsstruktur der corticalen Netzwerke ändern; diese Änderung geschieht im Sekundentakt. Dies ist der Takt des Bewusstseins und damit der Sinneseindrücke und der Gedanken.
Diese wunderbare Leistung der Großhirnrinde ist allerdings teuer, was bedeutet, dass sie viel Stoffwechselenergie, genauer Sauerstoff und Zucker als Energielieferanten, erfordert. Dies ist für den Körper und seinen Stoffwechsel eine wichtige Tatsache, denn das Gehirn
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