Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
»Sozialität« des Menschen. Unsere Persönlichkeit ergibt sich aus einer Wechselwirkung der vier genannten Faktoren. Diese Faktoren durchdringen sich gegenseitig und sind, wenn überhaupt, nur mit einem erheblichen methodischen Aufwand voneinander zu trennen. Ihre Wechselwirkung ist allerdings auf den einzelnen Ebenen höchst individuell: Wir sind genetisch, entwicklungsmäßig, in unserer frühkindlichen Prägung und unserer Sozialisierung einmalig.
EXKURS 2
Verstand oder Gefühle – ein kleiner Blick
in die Kulturgeschichte
Der Gegensatz von Verstand und Gefühl ist so klassisch wie der von Liebe und Hass, von Lust und Schmerz, von Sieg und Niederlage, von Glück und Unglück. Diese Gegensätze bestimmen unser Leben und machen es so unendlich vielfältig und zugleich so schwierig. Wie bereits erwähnt, gibt es in Hinblick auf Verstand und Gefühle die unterschiedlichsten, sich zum Teil krass widersprechenden Ratschläge. Das war immer schon so, wie uns ein Blick in die Ideen- und Kulturgeschichte lehrt.
Die antike griechische Philosophie ist gekennzeichnet durch die Entdeckung des Verstandes bzw. der Vernunft, griechisch »Logos«. Ursprünglich verstand man darunter eine Art göttliches Prinzip, die (vernünftige) Weltordnung, die aus unveränderlichen Gesetzen bestand. Der Mensch war durch Verstand und Vernunft, zusammen Intellekt genannt, befähigt, diese Ordnung und ihre Gesetze zu entdecken, und dies geschah, wie zum Beispiel Platon meinte, durch das reine philosophische Nachdenken (die »Ideenschau«), oder, wie sein Schüler Aristoteles glaubte, (auch) durch empirische Untersuchungen der Welt, woraus sich später die modernen Naturwissenschaften entwickelten. Der Intellekt war das Edelste, was der Mensch besaß und wodurch er sich von allen Tieren unterschied, so gewitzt diese manchmal auch erscheinen mochten – er war die Teilhabe des Menschen am göttlichen Prinzip der Vernunft. Die Entwicklung von Logik, Geometrie und Mathematik durch die Griechen war eine Leistung, ohne die unser abendländisches Denken gar nicht möglich ist, und bis ins 19. ;Jahrhundert hinein glaubte man, dass die Gesetze der Logik, Geometrie und Mathematik die Gesetze der objektiven göttlichen Ordnung widerspiegelten.
Deshalb lag und liegt es nahe, sich nicht nur in Philosophie und Wissenschaft, sondern auch im öffentlichen und privaten Leben dem Prinzip von Verstand und Vernunft unterzuordnen. Gefühle hatten hierbei wenig bis gar nichts zu suchen, denn sie trübten in aller Regel das verständige und vernünftige Denken und Handeln. Natürlich gab es auch für Platon und Aristoteles unterschiedliche Gefühle, und man unterschied »edle« und »unedle« Gefühle. Zu den edlen Gefühlen gehörten natürlich der Mut, die Liebe zu den Eltern und Kindern, zu den Freunden und zum Vaterland und vor allem zur Wahrheit, die unedlen Gefühle waren vornehmlich die Leidenschaften wie Sexualtrieb, Wut, Hass, Neid und Eifersucht. In plastischer Weise ordnete Platon diese unterschiedlichen »Seelenzustände« verschiedenen Teilen des Körpers zu: Verstand und Vernunft residierten im Kopf, genauer im Gehirn, Mut und andere edle Gefühle befanden sich im Herzen, und die Leidenschaften hausten im Unterleib – wo denn sonst! Man tat gut daran, diese Seelenzustände voneinander fern zu halten, und das war gar nicht so schwierig, denn der Kopf und damit Verstand und Vernunft sind vom Herzen als Sitz der edlen Gefühle durch den Nacken getrennt, und diese vom Unterleib und damit von den Leidenschaften durch das Zwerchfell.
In jedem Fall tat man gut daran, immer und überall Verstand und Vernunft walten zu lassen und sich höchstens den edlen Gefühlen hinzugeben, niemals aber den Leidenschaften. In der Spätantike bildete sich in der Folge dieser platonischen Philosophie die Richtung der »Stoiker« oder »Stoa« aus, deren Lebensziel es war, die Ordnung der Welt zu erkennen und zu akzeptieren. Jedem Individuum war die Aufgabe übertragen, seinen eigenen Platz in dieser Welt zu erkennen und durch Selbstbeherrschung sein Schicksal so zu akzeptieren, wie es nun einmal ist. Das Höchste, was man im Leben erreichen konnte, war eben eine »stoische Ruhe« – nichts sollte einen mehr aufregen oder auch nur wundern!
Das christlich genannte Mittelalter hatte meist andere Probleme, als über das Verhältnis von Vernunft, Gefühlen und Leidenschaften nachzudenken, auch wenn man in der Nachfolge der bruchstückhaft bekannten
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