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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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intelligent, sondern sie gehen auch kommunikativ sehr geschickt vor und erzählen dem Gerichtspsychiater genau das, was dieser hören will bzw. muss, damit er sich für eine Haftentlassung ausspricht. Es scheint manchmal, als seien diese Psychopathen besonders einfühlsam – wobei ihnen doch paradoxerweise die Fähigkeit zur Einfühlung in andere, also Empathie, abgesprochen wird.
    Die Erklärung liegt wohl darin, dass diese Menschen früh ihre emotionalen und empathischen Defizite erkennen oder zumindest erahnen und kompensatorisch rein rational-kognitive Ersatzstrategien entwickeln. Sie können die eigene Gefühle (sofern sie diese überhaupt erleben) und solche der anderen nicht deuten, aber sie lernen es, diese für sie im Grunde rätselhaften Faktoren in Rechnung zu stellen. So etwas gibt es bei Patienten mit emotionalen Defiziten häufiger: Sie haben zwar ein verarmtes Gefühlsleben, aber sie wissen, wie man über Gefühle redet , und deshalb fallen ihre Defizite häufig gar nicht auf.
    Aber nicht nur bei solchen Patienten oder bei Psychopathen gibt es eine Trennung von Verstand bzw. Intelligenz und Vernunft bzw. sozialen Gefühlen, sondern auch bei uns allen im Alltagsleben. Dies macht es uns möglich, Mitleid und Anteilnahme auszudrücken – sei es heuchlerisch oder nur aus Anstand –, ohne dass etwas dahinter steckt. Wir können auf diese Weise unsere wirklichen Gefühle taktisch verbergen, und wir können uns den anderen gegenüber so darstellen, wie wir von ihnen gesehen werden wollen . Wir können lügen und schwindeln oder diplomatisch und scheinbar rücksichtsvoll sein. Bevor man diese Fähigkeit pauschal als unmoralisch abtut, muss man sich klarmachen, dass es ohne die Möglichkeit, unsere wahren Gefühle hinter unseren Worten zu verbergen, kein gesellschaftliches Zusammenleben gäbe.
    Ein weiterer großer Vorteil dieser Trennungsmöglichkeit von Verstand und Vernunft ist die Tatsache, dass wir »kühl« über Absichten und Pläne nachdenken können, ohne sie auch tatsächlich zu verwirklichen. Wir können uns vorstellen, was wir täten, wenn wir plötzlich große Macht hätten (von erotisch-sexuellen Vorstellungen ganz zu schweigen), ohne dass wir je tatsächlich in eine solche Lage kämen – oder dies auch nur konkret wollten. Nichts von dem, was wir an Plänen machen, führt automatisch zum Tun. Genau dies ist die Grundlage kreativer Handlungsplanung, die neben der Sprache den Menschen vor allen anderen Tieren auszeichnet.
    Die vierte, rational-kommunikative Ebene ist natürlich die am meisten dynamische und veränderbare Ebene. Wir eignen uns schnell bestimmte Wissensinhalte an und wir können uns in der Art unserer Kommunikation schnell an gegebene Situation anpassen. Wir können in einem Gespräch den einen Standpunkt vertreten und im nächsten Gespräch den anderen. Das macht uns sehr flexibel, aber es hat den großen Nachteil, dass damit auch unsere Einwirkungen auf andere auf rational-kommunikativer Ebene sehr begrenzt sind, denn den anderen geht es in dieser Hinsicht genauso wie uns. Das eine ist, was sie sagen, und das andere, was sie fühlen und tatsächlich auch tun.

Vier Einflusskräfte formen die Persönlichkeit
     
    Psychologische und neurobiologische Persönlichkeitsforscher gehen inzwischen davon aus, dass unsere Persönlichkeit durch vier Einflusskräfte bestimmt wird: Die erste sind genetische Prädispositionen. Hierbei handelt es sich teils um Gene und Gen-Komponenten, die innerhalb des Normalbereichs unterschiedlich ausfallen, teils um solche, die für ein Verhalten verantwortlich sind, das als »abweichend« oder »abnorm« angesehen wird. Diese genetischen Faktoren unterscheiden sich in ihrer individuellen Zusammensetzung und weichen insbesondere in Details voneinander ab (so genannte »Gen-Polymorphismen«). Die neuere Forschung hat gezeigt, dass diese Polymorphismen um vieles zahlreicher sind, als man bisher geglaubt hat. Menschen sind also von ihrem Erbgut her gesehen viel unterschiedlicher, als gedacht. Zudem hängt die Wirkung (»Expression«) der Gene sehr stark von so genannten epi-genetischen Prozessen ab. Das Erbgut (das Genom ) bleibt zwar in einem Individuum gleich, aber die einzelnen Gene müssen von Prozessen innerhalb der Zelle, aber außerhalb des Genoms aktiviert und abgelesen werden, um überhaupt wirksam zu werden. Diese Aktivierungsprozesse bestimmen dann den Zeitpunkt, den Ort und die Dauer der Wirkung bestimmter Gene, und sie können selbstverständlich

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