Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Vernunft?
In der Psychologie war lange Zeit umstritten, was unter der »allgemeinen Intelligenz« zu verstehen sei. Entweder handelte es sich um eine bestimmte Fähigkeit des Gehirns, auf die alle Wissensbereiche zurückgreifen müssen, oder es war einfach die durchschnittliche Qualität aller Wissensbereiche, die mehr oder weniger unabhängig voneinander arbeiteten. Diese Frage konnte vor einigen Jahren von britischen und deutschen Neurowissenschaftlern mithilfe der funktionellen Bildgebung, hier der Positronen-Emissions-Tomographie (PET; s. Exkurs 1), weiter geklärt werden (Duncan et al., 2000). Im ersteren Fall sollte bei ganz unterschiedlichen Teilaufgaben eines Intelligenz-Tests eine bestimmte Hirnregion immer beteiligt sein, im letzteren Fall sollten hierbei jeweils unterschiedliche Hirnregionen aktiviert sein. Die Untersuchungen ergaben eine eindeutige Antwort: Bei allen unterschiedlichen Teilaufgaben war immer diejenige Hirnregion beteiligt, die man schon lange in Verdacht hatte, »Sitz« der Intelligenz zu sein, nämlich der dorsolaterale präfrontale Cortex (Abbildung 2, S. 39). Allerdings kamen der ventromediale präfrontale Cortex und der angrenzende anteriore cinguläre Cortex hinzu (vgl. Abbildung 3, S. 40).
Man kann also aufgrund dieser und anderer neurowissenschaftlicher Untersuchungen sagen, dass Verstand und Intelligenz (zumindest was die generelle oder »fluide« Intelligenz betrifft) im dorsolateralen präfrontalen Cortex angesiedelt sind. Das ist nicht verwunderlich, denn dieser Hirnteil hat mit dem Erfassen der handlungsrelevanten Sachlage, mit zeitlich-räumlicher Strukturierung von Wahrnehmungsinhalten zu tun, mit planvollem und kontextgerechtem Handeln und Sprechen und mit der Entwicklung von Zielvorstellungen. Verletzungen in diesem Bereich der Großhirnrinde machen einen Patienten typisch un-intelligent : Er erkennt nicht mehr, was Sache ist, kann keine Probleme mehr lösen, kapiert nichts und tendiert dazu, stereotyp vorzugehen, auch wenn sich Dinge und Situationen stark ändern. Im dorsolateralen präfrontalen Cortex findet sich auch das Arbeitsgedächtnis . Es ist die Grundlage dessen, was wir gerade in unserem Bewusstsein haben und womit wir uns gerade aufmerksam beschäftigen, z. B. einen Vorgang oder ein Ding genau betrachten, über ein Problem nachdenken oder uns etwas ganz Bestimmtes merken.
Nachdenken und Problemlösen sind häufig ein schwieriges Geschäft. Wir müssen dabei die richtigen Gedanken und Erinnerungen zusammenfügen und damit geistig »hantieren«. Das Arbeitsgedächtnis stellt ein Netzwerk dar, das auf das schnelle Zusammenfügen wichtiger Inhalte spezialisiert ist, und diese Inhalte müssen aus den verschiedenen Wahrnehmungsarealen und den vielen entsprechenden Gedächtnisschubladen in den hinteren Teilen der Großhirnrinde (also im temporalen, parietalen und okzipitalen Cortex) abgerufen und auf sehr variable Weise zusammengefügt werden. Die neurobiologisch-psychologische Intelligenzforschung zeigt, dass dieses Arbeitsgedächtnis der eigentliche Flaschenhals beim Problemlösen ist und dass intelligente Leute bewusst und unbewusst Tricks auf Lager haben, wie sie diesen Flaschenhals schneller passieren (Eselsbrücken und sonstige Merkhilfen).
Intelligente Menschen verarbeiten Informationen nicht nur physiologisch schneller und fügen deshalb Inhalte effektiver zusammen, wie Untersuchungen zur Geschwindigkeit der Reizfortleitung in der Großhirnrinde gezeigt haben, sondern sie machen dies auch mit weniger Aufwand und beanspruchen die Energiereserven des Gehirns weniger (vgl. Neubauer und Stern, 2007). Dies ist intuitiv einsichtig: Während der weniger Intelligente bei einem bestimmten Problem ins Schwitzen kommt (das ist ein klares Anzeichen dafür, dass das Gehirn sich anstrengen muss!), erledigt der Intelligente die Sache mit dem kleinen Finger. Er sieht schneller, wo das Problem liegt, und kann schneller das nötige Fachwissen für den Lösungsweg zusammenfügen.
Die britisch-deutschen Forscher fanden bei ihren PET-Untersuchungen neben dem dorsolateralen Cortex immer eine Beteiligung des ventromedialen präfrontalen und anterioren cingulären Cortex. Auch dies ist nicht verwunderlich, denn wie wir im 2. Kapitel erfahren haben, haben beide mit Aufmerksamkeit und Fehlererkennung zu tun, also Funktionen, die unbedingt zu intelligenten Leistungen gebraucht werden.
Die Vernunft hat überwiegend im orbitofrontalen und angrenzenden Teilen des ventromedialen
Weitere Kostenlose Bücher