Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
präfrontalen Cortex ihren Sitz. Dieser Cortexteil überprüft, wie bereits erwähnt, zusammen mit anderen Hirnteilen die längerfristigen Folgen unseres Handelns und lenkt entsprechend dessen Einpassung in soziale Regeln und Erwartungen. Eine wesentliche Funktion besteht im Aufstellen von Handlungszielen aufgrund früherer Erfahrung (vgl. Roberts, 2006). Eine andere wesentliche Funktion besteht in der Kontrolle impulsiven, individuell-egoistischen Verhaltens, das von den subcorticalen limbischen Zentren vermittelt wird. Schädigungen im orbitofrontalen Cortex führen zum Verlust der Fähigkeit, den sozial-kommunikativen Kontext, z. B. die Bedeutung von Szenendarstellungen oder die Mimik von Gesichtern, zu erfassen. Solche Patienten gehen trotz besseren Wissens große Risiken ein und wirken daher unvernünftig. Insgesamt kann man den orbitofrontalen Cortex als »Sitz« von Moral, Ethik und Gewissen ansehen (Damasio, 1994; Bechara et al., 1995, 1997; Anderson et al., 1999).
Ich habe bereits erwähnt, dass der dorsolaterale präfrontale und der orbitofrontale Cortex zu unterschiedlichen Zeiten der Hirnentwicklung ausreifen. Beide werden im Vergleich zu den sensorischen und motorischen Gebieten der Hirnrinde relativ spät voll funktionsfähig, aber der dorsolaterale präfrontale Cortex beginnt um das sechste Lebensjahr herum gut zu arbeiten (dies bedingt u. a. die Schulreife), und in diesem Alter können Kinder schon »ganz schön schlau« sein. Der orbitofrontale Cortex reift wesentlich später aus, d. h. nach dem 10. Lebensjahr, während der Pubertät und bis zum 20. Lebensjahr, eben wenn junge Menschen (hoffentlich) zu einiger Vernunft kommen. Die individuelle Intelligenz entwickelt sich also früher als die soziale Intelligenz, und das schafft im Jugendalter häufig große Probleme (Jugendstreiche).
Was sind Gefühle und wo im Gehirn sitzen sie?
Gefühle im weiteren Sinne umfassen zum einen körperliche Bedürfnisse wie Müdigkeit, Durst, Hunger, Geschlechtstrieb und den Drang nach dem Zusammensein mit anderen Menschen. Diese Bedürfnisse gehören zu unserer Grundausstattung, und wir können gegen sie entweder überhaupt nichts oder nur in sehr begrenztem Maße etwas tun. Ihre Befriedigung erzeugt Lust und Wohlbefinden, die allerdings nicht lange anhalten. Zum zweiten gehören dazu die Affekte wie Wut, Zorn, Hass, Panik und Aggressivität, die uns mitreißen, die wir genauso wenig lernen müssen wie die körperlichen Bedürfnisse, und die beinahe ebenso schwer zu kontrollieren sind. Auch sie sind mit einer merkwürdigen Lust verbunden, insbesondere im Zusammenhang mit Zerstörung und körperlicher Gewalt (zumindest im männlichen Geschlecht).
Von diesen grundlegenden körperlichen Bedürfnissen und Affekten sind die Emotionen oder Gefühle im engeren Sinne wie Furcht, Angst, Freude, Glück, Verachtung, Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung, Erwartung, Hochgefühl und Niedergeschlagenheit zu unterscheiden – dies sind nach Aussage von Psychologen unsere Grundgefühle, die sich unendlich mischen können und unsere Gefühlswelt ausmachen. Soweit wir wissen, sind zumindest diese Grundgefühle angeboren, denn ausgedehnte Untersuchungen des amerikanischen Psychologen und Anthropologen Paul Ekman zeigen, dass alle Menschen auf der Welt solche Grundgefühle haben, gleichgültig, wie sie diese sprachlich benennen.
Zwischen Affekten und Emotionen gibt es einen wichtigen Unterschied. Während die Affekte meist durch bestimmte Anlässe oder Standardsituationen vorgegeben sind und dann losbrechen, ordnen sich die Gefühle bestimmten Geschehnissen in uns und in der Welt in sehr variabler Weise zu. Starke Bedrohung führt zu Aggression oder Panik, eine tief enttäuschte Liebe zu Hass, starker Stress oder Frust zu Wut und Zorn. Was mir aber im einzelnen Freude und Glück bereitet, kann so unterschiedlich sein wie die individuellen Lebensverhältnisse, und dies ist für Ekel, Hoffnung und Verachtung genauso. Was der eine mit Hochgenuss tut oder verspeist, mag den anderen ekeln, des einen Freude ist möglicherweise des anderen Schmerz, des einen Hoffnung des anderen Enttäuschung. Natürlich gibt es einige wenige Dinge, die nahezu allen Menschen Freude und Glück oder Furcht und Angst bereiten, aber damit hört es auch schon auf.
Der Grund hierfür liegt im Prozess der emotionalen Konditionierung : Wir tun oder erleben etwas, und dies hat für uns entweder positive, negative oder neutrale Konsequenzen. Diese
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