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Pesch, Helmut W.

Pesch, Helmut W.

Titel: Pesch, Helmut W. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Kinder der Nibelungen
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Kinder setzten sich in Bewegung, ohne ein Wort miteinander zu wechseln oder sich auch nur anzusehen. Es war nicht notwendig. Aber darüber dachte keiner von ihnen nach. Es war das Einzige, was sie tun konnten.
    Es schien, als wüssten die beiden Raben genau, was von ihnen verlangt wurde. Siggi wusste, Raben und Krähen waren kluge Vögel, denn sein Onkel Rolf hatte mal eine Rabenkrähe gehabt, und dieses schwarze Huhn, wie Onkel Rolf immer gesagt hatte, war verdammt schlau gewesen. Aber noch am hellen Nachmittag auf dem Berg hätte Siggi abgestritten, dass diese Vögel imstande wären, Menschen durch einen Wald zu führen. Doch diese Vögel schienen es zu können. Sie kreisten langsam vor ihnen zwischen den Bäumen. Auf wundersame Weise teilte sich der Nebel, und es wurde nie zu dämmerig, sodass sie die Raben nie aus den Augen verloren.
    Dann schwebten die Raben über dem Hang, und insgeheim hegte Siggi die Befürchtung, dass ihr Weg nun zu Ende war, aber ein kleiner, gar nicht mal so schmaler Grat führte nach unten.
    Sie folgten dem Weg, ohne zu zögern. Die Raben hingen in völliger Stille und Erhabenheit über ihnen und schienen über sie zu wachen. Der Schlachtenlärm, das dumpfe Trommeln und der bedrohliche Gesang blieben allmählich zurück, vermischten sich mit einem Donnergrollen, und als die Kinder den Abstieg beendet hatten, war nichts mehr davon zu hören.
    Unten war kein Weg im Wald, aber ihre gefiederten Führer wussten, welche Richtung sie einschlagen mussten. Die Kinder rannten längst nicht mehr, sie konnten den Vögeln im Schritt folgen.
    Der Weg dehnte sich, und weder Siggi noch Gunhild und erst recht nicht Hagen hatte eine Ahnung, wo sie eigentlich genau waren. Riesige Farne und Sträucher wuchsen vor ihnen auf. Das Unterholz war dicht, aber ihre fliegenden Führer verloren sie nie aus dem Blick. Der Nebel schien immer da von einer Brise fortgetragen zu werden, wo sich die Raben aufhielten. Manchmal erleuchtete ein Blitz gerade im rechten Moment besonders dunkle Stellen, sodass man erkennen konnte, wohin es ging.
    Kein Wort fiel zwischen den Kindern. Sie waren wie verzaubert und folgten, ohne zu zögern, ohne Angst, Hast und Eile ihren Füh-rern.
    Siggi fühlte sich seltsam erfrischt, als hätte er gegessen, getrunken und geschlafen. Ihm war, als wäre er neu geboren. Der Wald schien ihm wieder mehr ein verwunschener Ort als ein Hort des Schreckens zu sein; es war, wie sich Siggi dachte, eigentlich doch ein netter Wald. Keiner der dunklen Schatten schien mehr eine Gefahr zu bedeuten. Die Kinder sahen sich gar nicht mehr nach ihren zwer-genhaften Verfolgern um; sie fürchteten gar nicht mehr, einer könn-te in der Nähe sein, und sie hetzen, jagen und …
    Keiner von den dreien fragte sich, wohin die Raben sie führten.
    Sie alle waren umgeben von Geborgenheit, Sicherheit und einer seltsamen Ruhe. Für die drei stand außer Frage, dass die Raben sie auf einen Weg geleiteten, der sie nach Hause und in die Obhut der Eltern bringen würde. Wo dieser Weg entlangführte, interessierte sie nicht; wichtig war das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Das gelegentli-che Grollen des Donners klang in ihren Ohren nur noch wie eine ferne Erinnerung an schlimme Zeiten, aber ein Blick auf die majestätische Erhabenheit, mit der die Raben durch den Wald flogen, ließ selbst diese Erinnerung schwinden.
    Sie hatten keine Vorstellung davon, wie lange sie so gegangen waren. Zeit spielte im Moment keine Rolle mehr. Alles würde gut werden, das war das Wichtigste.
    Ohne Vorwarnung traten sie aus dem Wald heraus und standen vor einer Felswand, in der ein großes dunkles Loch klaffte, eine der zahlreichen, uralten Höhlen dieser Gegend, die zu Abenteuern ein-luden.
    Noch vor kurzer Zeit hätte die Kinder der Anblick dieses Schlundes in helle Panik versetzt, aber diese Höhle löste kein Erschrecken aus. Die innere Ruhe, die sie erfüllte, ließ sie der Dinge harren, die da kommen mochten.
    Die beiden Vögel kreisten vor der Höhle, und im Chor stießen beide einen weithin hörbaren Schrei aus, der in den Ohren der Kinder wie Musik klang. Jeder von ihnen fragte sich, wieso Raben einen so üblen Ruf hatten. Diese beiden hier konnten nicht dafür verantwortlich sein. Sie waren majestätische Vögel, und sie schienen sich dessen bewusst zu sein.

    Die Raben flogen den vor der Höhle hängenden Ast einer uralten Eiche an und ließen sich darauf nieder. Dort ordneten sie ihr Gefieder, nicht hektisch, sondern als hätten sie alle

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