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Pesch, Helmut W.

Pesch, Helmut W.

Titel: Pesch, Helmut W. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Kinder der Nibelungen
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zurückreichte.
    »Wer sind Sie?«, fragte Gunhild unvermittelt.
    »Ich bin nur ein alter Mann, der abgeschieden von der Mensch-heit seinen Lebensabend genießt, hier und da durch die Welt wan-dert und staunt, wie sehr sie sich verändert, was verloren ging, was gewonnen wurde«, antwortet der Alte vielsagend und ausweichend zugleich.
    »So ‘ne Art Landstreicher …«, entfuhr es Siggi, der seine Frechheit gleich darauf bereute und ein »Entschuldigung!« nachschob.
    »Doch, so könnte man es nennen«, entgegnete der Alte und blickte einen Moment sinnend mit seinem einen Auge an die Decke. »Ja, ich glaube, man könnte mich als Landstreicher bezeichnen.«
    »Und wovon leben Sie?«, fragte Gunhild weiter, nur um etwas zu sagen.
    »Von diesem und jenem, was mir Natur und andere so bieten«, meinte er lapidar.
    »Sind Sie … ein Dieb?«, fragte Hagen, und es schien sichtlich schwer zu fallen und peinlich zu sein, diese Frage zu stellen.
    »Nein, das nicht. Ich habe es nicht nötig zu stehlen. Die Natur, nutzt man sie richtig, gibt einem alles, was man braucht. Essen, Trinken, Kleidung, Süßigkeiten und vieles mehr. Du musst nur wissen, worauf du zu achten hast, mein Junge«, erklärte der ganz in Grau gekleidete Alte; denn nicht nur Umhang und Hut waren grau, auch Wams und Hosen waren aus dunkelgrauem Stoff und seine Stiefel aus dunklem Leder.
    »Was … was waren das für Gestalten, die uns im Wald gejagt haben?«, fragte Gunhild. »Sie waren so unheimlich, so erschreckend.«
    »Das waren die Schwarzalben«, sagte der Alte, als würde dieser eine Satz alles erklären, und Gunhild fragte nicht weiter. Hätte ihr Vater das gesehen, er wäre sprachlos gewesen, weil gerade Gunhild Fragen ohne Ende stellte, wenn ihr eine Erklärung zu vage war.
    Und die Erklärung des alten Mannes in dem grauen Gewand war alles andere als erschöpfend. Doch Gunhild nickte nur, und die Sache schien für sie damit erledigt zu sein.
    Siggi bemerkte dies wohl, traute sich aber nicht, anstelle seiner Schwester weiter zu fragen, aber er mahnte sich an, dies zu tun, sobald wieder die Rede von diesen Wesen war, die der Alte ›Schwarzalben‹ genannt hatte.
    »Aber warum haben sie uns verfolgt?«, fragte Hagen und fuhr fort: »Wir haben ihnen doch nichts getan!«
    »Das hat keine Bewandtnis, Junge«, begann der Alte. »Dass sie euch gehetzt haben, ist etwas, was ich mir beim besten Willen auch nicht erklären kann. Ich weiß nicht, warum die Schwarzalben nach Midgard gekommen sind«, schien der Alte mehr zu sich als zu Hagen und den Geschwistern zu sagen. »Es muss etwas Großes vorgefallen sein. So einfach gehen sie nicht über die Grenze.«
    Der Graue, wie Siggi ihn jetzt für sich nannte, sah sie an. Sein Blick schien sie zu durchdringen. Er sah zwar alt aus, hatte aber nicht die Haltung eines alten Mannes. Siggi kannte seine Großväter und andere ältere Männer, die gebeugt gingen, da ihre Muskeln er-schlafft, ihre Gelenke steif geworden waren. Der Graue hingegen schien derlei Gebrechen nicht zu kennen. War das Gesicht auch ledrig und von Falten gefurcht, so steckte in diesem Mann doch noch eine seltsame Kraft. Siggi erschien es daher einfach unpassend, ihn als ›der Alte‹ zu bezeichnen. Daher war seine Kleidung ein willkommener Anlass, ihm einen Namen zu geben, wenn er denn seinen schon nicht verraten wollte.
    »Berichtet mir«, sagte der Graue unvermittelt, und er wandte sich an Gunhild, die ihn mit großen Augen ansah. »Was ist geschehen?
    Erzählt es mir von Anfang an!«
    »Mein Bruder hatte die Idee, ein Picknick zu machen, also sind wir oben zu der Lichtung am Berg gefahren«, begann Gunhild.
    »Weißt du, unterhalb des großen Felsens, von wo aus man den Rhein sehen kann. Da oben waren wir auch, und auf dem Rückweg waren wir am Siegfriedsbrunnen …«, begann Gunhild die Aufzählung des Tagesablaufs.
    »An welchem Brunnen?«, unterbrach sie der Graue. Ein seltsamer Zug schlich sich sein Gesicht.
    »Dem mit der Inschrift. Von den Nibelungen.«
    »Den Nibelungen …« Er sprach das Wort aus, als hätte es eine tiefere Bedeutung, die keinesfalls angenehme Erinnerungen weckte.
    »Was habt ihr da gemacht?«
    »Ach, ich habe mich an den alten Aberglauben erinnert, wo es heißt, wenn man dreimal um den Brunnen tanzt, darf man sich was wünschen und der Wunsch geht in Erfüllung. Dann hat es einen mächtigen Donnerschlag gegeben, und keiner konnte erklären, woher er kam …«
    »Nichts ist unerklärlich«, unterbrach sie der Graue

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