Pestmond (German Edition)
einbüßte, die mit einem Klappern wie von kleinen Aststückchen auf den Boden fielen, doch er schien den Schmerz nicht zu spüren – und wie auch? Tote spüren im Allgemeinen keinen Schmerz, und in der schwankenden Gestalt war schon lange kein Leben mehr, nicht erst seit dem Moment, als Abu Dun ihn gegen die Wand geworfen oder ihm das Kreuz gebrochen hatte.
Er atmete nicht.
Die Stümpfe der drei Finger, die Andrej ihm abgeschnitten hatte, bluteten nicht, und seine Augen waren nur noch gelierte weiße Kugeln, als hätten sie die Pupillen verschluckt. Im bleichen Licht des Mondes war seine Haut grau und durchscheinend, sodass man das Geflecht mit geronnenem Blut gefüllter Adern darunter sehen konnte.
Es war nicht das erste Mal, dass Andrej einer solchen Kreatur gegenüberstand, aber ausgerechnet hier und jetzt?
»Alles in Ordnung?«, wandte er sich an Abu Dun, ohne den toten Mann aus den Augen zu lassen. Nun wusste er, womit er es zu tun hatte, und damit auch, dass ihm die Kreatur nicht wirklich gefährlich werden konnte, solange sie allein war und er dafür sorgte, dass sie ihm nicht zu nahe kam.
»Mit mir schon«, antwortete Abu Dun finster. »Aber der hier ist tot.«
Andrej hielt die torkelnde Gestalt mit dem Schwert weiter auf Abstand und riskierte einen schnellen Blick über die Schulter. Abu Dun hatte den Assassinen auf den Rücken gedreht und das schwarze Tuch von seinem Gesicht genommen; seine weit offenen Augen starrten ins Leere. Da war Blut, sehr viel Blut sogar, aber Andrej blieb keine Zeit für einen zweiten Blick, denn es war dem unheimlichen Angreifer irgendwie gelungen, sich an seinem Schwert vorbeizumogeln. Seine verstümmelte Hand grabschte nach Andrejs Arm und hinterließ eine widerlich schmierige Spur auf seinem Hemd.
Andrej stieß ihm den Schwertgriff ins Gesicht, was ihn abermals zurücktorkeln ließ, packte seine Waffe nun mit beiden Händen und sammelte Kraft für den alles entscheidenden Hieb, als ein kleiner Dolch über seiner Schulter so dicht an seiner Wange vorbeizischte, dass er den Luftzug spüren konnte und sich bis zum Heft in die Stirn des toten Mannes bohrte. Dieser sackte wie eine Marionette, deren Fäden mit einem Schnitt durchtrennt wurden, zu Boden.
Andrej hob trotzdem das Schwert, um die Sache ein für alle Mal zu beenden (auch wenn er nicht so recht wusste, wie), doch er war auch jetzt nicht schnell genug. Eine Gestalt in wehenden schwarzen Gewändern jagte an ihm vorbei, schwang einen Säbel und enthauptete den reglosen Mann mit einem einzigen Hieb, der Funken aus der Wand sprühen und die Schwertspitze abbrechen ließ.
»Geh zurück!«, fauchte Ali. »Rühr ihn nicht an!«
Andrej hatte nichts dergleichen vorgehabt, nun aber immerhin eine ungefähre Ahnung, wer den Dolch geworfen hatte. Er suchte nach einer spitzen Bemerkung, wandte sich dann aber nur um und stellte ohne Überraschung fest, dass sie nicht mehr allein auf dem Hof waren.
Hasan war ins Freie gestürmt, zusammen mit etlichen weiteren Assassinen, die ihre Waffen gezogen hatten und Dornenhandschuhe trugen. Andere versuchten die aufgeregten Kamele zu beruhigen – mit wenig Erfolg. Den Kriegern folgte einer der unbekannten Männer und zu guter Letzt Vercelli, der Kapitän, mit leeren Händen, dafür aber erschrockenem Gesicht.
»Was ist passiert?«, fragte Hasan knapp. Andrej hatte das sichere Gefühl, dass er die Antwort auf seine eigene Frage sehr wohl kannte und sie nur gestellt hatte, damit Andrej oder vielleicht auch einer seiner anderen Begleiter sie hörte.
»Jemand hat die Wachen angegriffen«, erwiderte Andrej ebenso knapp, während er zu dem verletzten Assassinen hinüberging. »Ali hat ihn getötet.«
Auf eine knappe Geste Hasans hin rannten zwei seiner Assassinen mit gezogenen Waffen aus dem Tor, um draußen nach dem Rechten zu sehen. Andrej ließ sich neben dem verletzten Krieger auf ein Knie sinken und versuchte seinen Blick einzufangen, aber es gelang ihm nicht. Der Mann sah überall hin, nur nicht in seine Richtung. Andrej sah jetzt, dass seine Hand verletzt war; nicht schlimm, wie es schien, aber er umklammerte sie so fest mit der anderen, dass sich Andrej fragte, ob er sie sich an den vergifteten Dornen aufgerissen hatte. Das würde erklären, warum er inzwischen am ganzen Leib zitterte.
»Was ist los mit dir?«, fragte Andrej. »Kannst du mir sagen, was passiert ist?« Gleichzeitig streckte er den Arm aus, um nach der Hand des Mannes zu greifen, doch der Assassine wich entsetzt vor
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