Pestmond (German Edition)
Also verdirb sie nicht, indem wir über große Politik und die Zukunft der Welt philosophieren. Deshalb habe ich dich nicht gebeten, noch zu bleiben.«
»Sondern?«
»Um dir zu danken.« Hasan schenkte einen weiteren Becher des schweren Weins ein, den sie den ganzen Abend getrunken hatten, und schob ihn ihm hin, bevor er einen zweiten eingoss, den er Abu Dun gab. »Ali hat mir erzählt, was auf dem Markt passiert ist. Ich danke euch beiden für das, was ihr für Ayla getan habt.«
Andrej griff nach dem Becher, ohne zu trinken. »Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Männer ihr wirklich etwas tun wollten. Sie wollten nur ihr Eigentum zurück.«
»Trotzdem hätte es böse enden können«, entgegnete Hasan. »Menschen sind unberechenbar, vor allem dann, wenn sie sich im Recht fühlen. Ali war zwar rasch zur Stelle, doch selbst ein einziger Augenblick kann den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.«
»Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie in Gefahr war«, witzelte Abu Dun. »Schon eher der arme Bursche, auf den sie losgegangen ist.«
Andrej meinte zu sehen, wie Hasan leicht zusammenfuhr und sein Lächeln für den Bruchteil eines Augenblicks entgleiste. Aber was erwartete er? Ayla war wie eine Tochter für ihn, und natürlich sorgte er sich um das Mädchen.
»Sie wird bestraft werden«, sagte Hasan. »Streng.«
»Das ist wohl nötig, aber seid nicht zu hart mit ihr«, sagte Andrej. »Sie ist noch ein Kind.«
»Ein Kind, das gestohlen hat«, widersprach Hasan traurig. »So etwas dulden wir nicht. Wir sind keine Diebe.«
»Nein.« Abu Dun trank einen Schluck Wein. »Nur Mörder.«
Hasan presste die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen. Als er seinerseits nach dem Weinkrug griff und sich einschenkte, fiel Andrej auf, dass Hasan sich zwar aus demselben Krug wie sie alle bediente, sein Trinkgefäß aber ein anderes war, nämlich der zerbeulte Becher, aus dem er Abu Dun täglich die Kat-Ration zu trinken gab, die ihn am Leben erhielt.
Natürlich entgingen Hasan seine erstaunten Blicke nicht. Er trank einen großen Schluck, schmatzte genießerisch und prostete ihm mit seinem Becher zu. »Dir gefällt mein Trinkgefäß?«
»Es ist … interessant«, antwortete Andrej ausweichend. Hasan, Hamed oder wie immer er auch heißen mochte, war ein vermögender Mann, der sich bestimmt einen eigenen Trinkbecher leisten konnte, der nicht so aussah, als hätte er ihn in der Gosse gefunden.
Hasan nahm einen weiteren großen Schluck, sodass nichts über den Rand schwappen konnte, als er Andrej den Becher reichte, damit er ihn genauer in Augenschein nahm.
»Erzählst du mir seine Geschichte?«, fragte er.
»Was bringt dich auf die Idee, dass er eine hat?«
»Der simple Umstand, dass du ihn hast?«
Hasan machte ein zufriedenes Gesicht und streckte die Hand aus, allerdings nicht, um den Becher wieder an sich zu nehmen, wie Andrej erwartete. Vielmehr deutete er mit dem Mittelfinger auf eine bestimmte Stelle an seinem Rand, die aussah, als wäre sie vor langer Zeit einmal beschädigt und nachträglich ausgebessert worden, zwar mit großem Geschick, aber eben doch nicht spurlos. Andrej tippte zögernd mit dem Fingernagel dagegen und stellte fest, dass ein vielleicht daumengroßes Stück aus der Bronze herausgebrochen und offensichtlich durch ein anderes Material ersetzt worden war, eine Spur heller und etwas weicher. Vielleicht Gold. Fragend sah er Hasan an.
»Es ist ein Stück des Heiligen Grals«, sagte Hasan, doch seine Augen funkelten dabei spöttisch. »Angeblich hat dieser Becher einem der sieben Ritter gehört, die damals den Tempel Salomons gefunden und später den Orden der Tempelritter gegründet haben. Es heißt, er hätte ein Stück aus dem Heiligen Gral gebrochen und in diesen Becher eingesetzt, um seinen eigenen Quell der Unsterblichkeit zu haben.«
»Und das hat er dir erzählt, weil er selbst unsterblich geworden ist.«
»Ich fürchte, nein«, sagte Hasan mit einem tiefen Seufzen. »Wie die meisten Geschichten hat auch diese kein gutes Ende. Der Becher hat seinem Besitzer kein Glück gebracht und auch den meisten von denen nicht, die ihn danach besaßen.«
»Dann solltest du ihn besser behalten«, sagte Andrej, indem er den Becher hastig seinem momentanen Besitzer zurückgab.
Hasan lachte. »Seit wann bist du so abergläubisch?«
»Seit ich dem einen oder anderen Aberglauben selbst ins Gesicht gesehen habe«, antwortete Andrej. »Und fast von ihm aufgefressen worden wäre.«
»Das droht
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