Pestmond (German Edition)
dir von dem hier nicht.« Hasan trank einen weiteren großen Schluck, womit er den Becher beinahe leerte, und drehte ihn nachdenklich in der Hand. »Es ist nur ein alter Becher … auch wenn um seinetwillen wahrscheinlich schrecklich viele Menschen ihr Leben verloren haben – oder es freiwillig opferten, was ziemlich dumm war. Aber auch tragisch.«
»Und warum behältst du ihn dann? Weil so viel Blut an ihm klebt?«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bedauerte Andrej sie auch schon. Hasan maß ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, schüttelte aber nur den Kopf. »Das ist eine persönliche Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie dir irgendwann einmal. Aber wahrscheinlich eher nicht.«
Andrej hatte nicht wirklich eine ehrliche (oder wenigstens klare) Antwort erwartet, aber er ärgerte sich trotzdem. Vielleicht auch über sich selbst.
»Aber ich wiederhole mich gerne«, fuhr Hasan mit veränderter Stimme fort. »Ich habe dich nicht gebeten zu bleiben, um mit dir zu streiten. Lass uns noch einen Becher Wein zusammen trinken und diesen Abend genießen.«
Er prostete Andrej zu und wandte sich, als er nur einen eisigen Blick erntete, an Abu Dun. »Bist du mit Kasims Arbeit zufrieden?«
»Die künstliche Hand?« Abu Dun hob den schwarzen Panzerhandschuh vor die Augen. »Sie hat nur vier Finger.«
»Ja. Kasim hat sich bereits bei mir beschwert, dass sich deine Dankbarkeit in … sagen wir … Grenzen gehalten hat«, sagte Hasan amüsiert. »Niemand ist perfekt, nicht wahr? Und der arme Kasim musste improvisieren. Eine solche Arbeit auf einem schwankenden Boot oder einem nicht minder schwankenden Kamelrücken zu verrichten, ist nicht leicht. Du solltest erleben, wozu er unter besseren Bedingungen fähig ist und wenn er all seine Werkzeuge hat.«
»Kann er dann sogar bis fünf zählen?«, erkundigte sich Abu Dun.
»Nicht nur das, mein Freund. Und der vermeintlich vergessene Finger hat durchaus einen Sinn. Er hat zum Beispiel noch …« Hasan unterbrach sich, drehte mit einem kleinen, vogelartigen Ruck den Kopf und sah zu Ali hin, der noch immer in der Tür stand. Vom Hof her wehte ein dumpfes Krachen herauf, gefolgt von einem scharfen metallischen Klirren und einem Schrei. Andrej und Abu Dun waren beide gleichzeitig auf den Beinen und am Fenster.
Erst nach einem Moment konnte Andrej den Anlass für den Lärm ausmachen, denn die aufgeschreckten Kamele zerrten an ihren Stricken oder versuchten sich gegenseitig aus dem Weg zu stoßen. Doch dann sah er das offene Tor und einen der beiden Assassinen, die Hasan zur Wache eingeteilt hatte, reglos auf der Seite liegend, das Schwert halb aus der Scheide gezogen und die Hand noch am Griff, als hätte er es nicht mehr geschafft, die Bewegung ganz zu Ende zu bringen. Sein Kamerad rang mit einer schattenhaften Gestalt, und beim Anblick des lautlosen Tanzes war Andrej sofort klar, dass er dieses stumme Ringen verlieren würde.
Er überlegte nicht lang, sondern handelte. Aus dem Saal und die beiden Treppen hinunterzustürmen, würde viel zu lange dauern, um dem Mann noch zu helfen, also flankte er, ohne zu zögern, über die Fensterbrüstung in die Tiefe, ein Sprung von gut zehn Metern, der selbst für einen Mann wie ihn gewagt war, aber machbar.
Womit er nicht gerechnet hatte, waren die Kamele. Eines der nervösen Tiere machte genau im falschesten aller möglichen Momente einen Schritt zur Seite, und statt auf dem Boden zu landen und seinem Sturz mit einer Rolle den ärgsten Schwung zu nehmen, wie er es geplant hatte, prallte Andrej ungeschickt gegen die Flanke des Tieres, fiel auf den Rücken und schlug mit solcher Wucht auf den Hinterkopf, dass ihm beinahe die Sinne schwanden. Das Kamel blökte vor Schreck und Schmerz und versetzte ihm zu allem Überfluss auch noch einen Tritt, der ihm zwei oder drei Rippen brach. Sein Mund füllte sich mit Blut und bitterer Galle. Trotzdem rollte er sofort herum und kroch auf Händen und Knien ein Stück zur Seite, um nicht noch einmal Bekanntschaft mit den Kamelhufen zu machen. Er wollte aufspringen, doch ihm war, als würde er von einem wütenden Dolch von innen heraus aufgeschlitzt. Trotzdem registrierte er, dass Abu Dun ihm auf dieselbe Weise folgte, dabei aber nicht einmal annähernd so ungeschickt war wie er, denn er fiel zwar ebenfalls, kam aber mit einer eleganten Rolle wieder auf die Beine und nutzte den restlichen Schwung, um mit zwei großen Sätzen bei dem Assassinen und seinem Angreifer zu sein. Ohne langsamer zu werden, packte
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