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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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etwas anderes verwandelt, etwas zwischen einem frechen und einem überlegenen Lächeln. Es war teils eine Lüge – zumindest empfand ich es so – und teils wahr. Es war ein Junge auf dem Weg, ein Mann zu werden; ein Bild dessen, was hätte sein können anstatt dessen, was war.
    Ich wollte ihm die Zunge herausstrecken, doch ich konnte es nicht. Die Wahrheit war, dass ich ihn ziemlich gerne mochte. Nein, es war mehr als das. Ich war fasziniert von ihm. Ich lüpfte einen imaginären Hut und schwang ihn mit einer überschwänglichen Geste und einer tiefen Verbeugung. Dann blieb ich wie angewurzelt stehen, als mir ein Gedanke in den Sinn kam. Woher wusste ich, dass er ich war? Ich hatte mich bislang nur in verzerrtem Glas oder in dunklen stillen Pfützen gesehen.
    »Bist du sicher?«
    Die Stimme war so leise und die Frage so passend, dass ich einen Augenblick glaubte, sie sei in meinem eigenen Kopf entstanden. Doch ich drehte mich um, und dort stand sie in der Tür. Im ersten Moment glaubte ich nicht, dass sie echt war. Sie war einfach so aus der Luft erschienen. Sie war das Irrlicht, der gute Geist, der meine ganze Kindheit lang über mich gewacht hatte.
    »S… sicher?«, stotterte ich.
    »Willst du Lord Stonehouse sein?«
    Ich konnte nicht antworten. Albernerweise fragte ich mich, warum sie einen Gartenkorb mit Kräutern und nicht meinen Osterkuchen trug, den ich in diesem Jahr nicht bekommen hatte. Aus Furcht, sie könnte sich auflösen, ging ich zu ihr und berührte ihr Gesicht. Erschrocken wich sie zurück, Kräuter fielen aus ihrem Korb. Ich sammelte sie auf und murmelte eine Entschuldigung. »Ich war nicht sicher, ob Ihr wirklich hier seid.«
    Sie lachte. Eaton hatte ihr ziemlich geschmeichelt, als er sagte, sie sähe gewöhnlich aus. In Wirklichkeit war sie ziemlich hässlich, hatte eine Stupsnase und pockennarbige Wangen und sah eher aus wie diese verwitterten Wasserspeier, die das Regenwasser von den Kirchdächern spien. Doch ihr Lachen und ihre Stimme, perfekt aufeinander abgestimmt wie die Stimmen eines gregorianischen Chorals, verwandelten sie.
    Dann wurde sie ernst. »Ich rate dir dringend: Vergiss den Anhänger, vergiss die Stonehouses.«

    Sonderbar, wie peinlich, hartnäckig und geradezu nutzlos ein Geist werden konnte, wenn er sich in ein Wesen aus Fleisch und Blut verwandelte. Kate Beaumann leugnete nicht, dass sie wusste, wo Matthew sich aufhielt. Sie war auf dem Weg zu ihm gewesen, als sie erfahren hatte, dass Mrs Morland sehr krank war, und war von der Belagerung aufgehalten worden. Doch sie weigerte sich rundheraus, mir zu sagen, wo Matthew war. Das würde mich zu dem Anhänger führen, der Quelle allen Übels. Ihre alleinige Absicht war es, ihn zu finden und zu zerstören, und nichts würde sie davon abbringen. Sie weigerte sich sogar, mir zu sagen, was bei meiner Geburt geschehen war. Ich war so verzweifelt, dass ich ihr erzählte, dass Eaton bei mir war, weil ich dachte, das könnte meinen Fall möglicherweise vorantreiben.
    Sie stand da und wirkte mit jeder Faser erstarrt wie ein steinerner Wasserspeier, dann eilte sie davon. Sie war so rasch verschwunden, dass ich fürchtete, sie habe sich erneut in einen Geist verwandelt. Ich musste rennen, um sie einzuholen, flehte sie an, Eaton zu besuchen, und sagte ihr, dass er den Lebenswillen verloren zu haben schien.
    »Dann lass ihn doch sterben«, sagte sie, ohne ihre Schritte zu verlangsamen.
    »Was hat er getan?«
    Jetzt blieb sie stehen. »Ausgerechnet du, von allen Menschen, fragst das?«
    »Ich meine, was hat er Euch angetan?«
    »Frag ihn.«
    Ich war schockiert über ihren Tonfall, in dem etwas von Eatons eigener Grausamkeit lag, doch sie weigerte sich, noch mehr zu sagen. Jeglicher Gleichmut hatte sie verlassen. Erneut fielen Kräuter aus ihrem Korb, und ich sammelte sie auf, folgte ihrer Spur, um sie vor der Schlafkammer der Haushälterin wiederzufinden. Ihre Lippen bewegten sich in einem fast unhörbaren Gebet, das ich nicht zu unterbrechen wagte. Allmählich hörte ihr Busen auf, sich unter dem schlichten braunen Kleid zu heben, das nur durch einen schneeweißen Kragen aufgelockert wurde. Ich legte die Kräuter in den Korb und bat darum, Mrs Morland sehen zu dürfen.
    »Willst du mit ihr über die Nacht deiner Geburt sprechen?«
    Ich wich der Frage aus. »Ich habe eine Nachricht von ihrer Tochter.«

    Mrs Morlands Schlafkammer war der heißeste Raum in diesem riesigen, zugigen Gebäude. Lavendelzweige knisterten im Feuer, doch sein

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