Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
in die Ansammlung aus staubigen, zerbrechlichen Zweigen und toten Blättern, und starrten auf den Regenvorhang vor uns.
»Warum hat er dir das alles erzählt?«
»Weil er erfahren hat, dass Ihr am Leben seid! Er dachte, dass er Euch vielleicht wiederfinden würde. Von dem Moment an hat er sich verändert.«
»Verändert? Dieser Mann?«
»Ja!«
»Tom, er hält dich zum Narren, so wie er mich zum Narren gehalten hat.«
»Es war, als hätte er die Worte aus einem tiefen Brunnen hervorgeholt.«
»Das passt immerhin zu ihm«, murmelte sie.
Der Schauer hörte so schnell auf, wie er gekommen war, und die Sonne kam wieder zum Vorschein. Erst jetzt bemerkte ich, dass ein Ärmel meines Hemds an meinem Arm klebte. Auch ein Teil ihres Umhangs und Haares war dunkel vom Regen. »Glaubst du, er hat dir die Wahrheit gesagt?«, flüsterte sie.
»Ja. Ja, gewiss. Kein Mann kann solche Gefühle erfinden.«
Sie seufzte und erbebte. Ich merkte, wie nass wir waren, und drängte sie, hineinzugehen, ehe sie sich erkältete. Doch sie weigerte sich und sagte, dass sie jetzt reden müsse, oder sie würde es niemals tun. Sie hatte geglaubt, es sei das Beste, die Sache zu begraben, und dass mein Glück davon abhinge. Jetzt, wo es mich zu diesem verfluchten Ort gezogen hatte, sei es das kleinere von zwei Übeln, mir den Teil der Wahrheit zu erzählen, den sie kannte.
Im Laufe der Jahre hatte sie mir mehr gegeben als nur den Osterkuchen an meinem Geburtstag. Sie war es gewesen, die Mr Ingram überredet hatte, mir mit Hilfe der Bibel das Lesen beizubringen. Was als Wiedergutmachung für ihre Sünde – nun, dazu würde sie noch kommen – angefangen hatte, endete als, warum sollte sie es nicht sagen, Akt der Liebe.
»Du fragst mich, ob ich Eaton geheiratet hätte, wenn all das nicht geschehen wäre? Hat er dir nicht gesagt, dass ich ihm sehr wohl geantwortet habe?«
Ich schüttelte den Kopf. Sie zitterte erneut, und erneut bat ich sie inständig, hineinzugehen, doch sie erwiderte, es sei nicht die Kälte, die sie erzittern ließ, sondern die Erinnerung an jenen Tag und jenen Sommer, die schleichend wiedererwachte. Wie ich bereits von Eaton wusste, hatte alles damit begonnen, dass sie ihn aus der Falle befreit hatte. Davor kannte sie ihn nur als einen Menschen, den die Familie Pearce hasste, deren einst riesige Ländereien schon lange im Niedergang begriffen waren. Margaret Pearce war ein Einzelkind. Ihre Mutter war tot, ihr Vater ein halsstarriger Mann, der den Großteil seines Geldes dabei verloren hatte, Lord Stonehouse’ Übergriffe auf sein Land abzuwehren. Als er starb, stand er kurz vor dem Ruin. Das Einzige, das er seine Tochter hinterlassen hatte und das nicht verpfändet war, war sein Hass auf Lord Stonehouse.
Ich hörte gebannt zu. Falls die Leute meine Mutter überhaupt erwähnt hatten, hatten sie von ihr gesprochen, als sei sie eine Hure aus einem Groschenblatt, aber niemand hatte sie als wirklichen Menschen lebendig werden lassen.
»War sie schön?«, fragte ich.
»Und geistreich. Und intelligent. Und bezaubernd. Wie du.«
»Ich bin bezaubernd?«
»Ach Tom! Hör dich doch an!«
»Meine Füße sind viel zu groß, um jemals bezaubernd sein zu können.«
Ich hielt meine Füße vor ihr in die Höhe, und sie lachte. Dann fügte sie an: »Und deine Mutter war skrupellos.«
»Ich bin nicht skrupellos! Ganz und gar nicht!«
»Nein. Noch nicht.« Obwohl die Sonne kräftiger wurde und es inzwischen ziemlich warm in der Laube war, zitterte sie erneut. »Ich sehe so viel von ihr in dir. Das ist es, wovor ich solche Angst habe. Ich habe sie damals nicht für skrupellos gehalten. Ich glaubte, alles über sie zu wissen – bis zu jenem Tag.«
Sie schwieg eine Weile, ehe sie mir erzählte, dass Margaret Pearce sie benutzt hatte. Nun, dafür wurden Gesellschafterinnen bezahlt und bekamen zu essen und ein Dach über dem Kopf – in diesem Fall vor allem Letzteres. Aber die meisten Gesellschafterinnen wurden auch ins Vertrauen gezogen. Sie hatte geglaubt, bei ihr sei es genauso, doch das war es nicht. Margaret Pearce hatte eine Art, die Dinge entweder heftig und übertrieben darzustellen oder im genauen Gegenteil oberflächlich und spöttisch. Keines von beiden konnte Kate ernst nehmen, bis es zu spät war.
Margaret Pearce machte Lord Stonehouse für den Tod ihres Vaters verantwortlich, als hätte er ihn eigenhändig ermordet. Und sie glaubte, dass die Seele ihres Vaters keine Ruhe finden würde, bis sie Rache geübt hatte.
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