Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
voller Schuldgefühle, dass ich nicht verhindern konnte, dass mir das Wort über die Lippen kam. »Vater …«
Für den Bruchteil einer Sekunde nahm er es als Anrede seines Berufs, dann zuckte er zusammen, als hätte ich ihn niedergestochen. »Ich bin nicht dein Vater!« Seine Frau musste ihn gehört haben, denn jetzt eilte sie mit einem Gesichtsausdruck auf uns zu, der deutlich machte, dass selbst ein Kavallerieangriff sie nicht hätte aufhalten können.
»Die Eheschließung wurde für illegal erklärt«, sagte Edward.
»Von wem? Von Lord Stonehouse?«, sagte ich.
Plötzlich redeten wir alle auf einmal. Die Trauergäste drängten mit offenen Mündern nach vorn.
»Welche Ehe?«, sagte Edwards Frau. »Wovon redet Ihr da? Wer ist dieser Mann? Ist er der Bas…«
»Bastard? Nein, Madam«, sagte ich und nahm meinen Hut ab. »Ich denke, das dürft Ihr mich nicht länger nennen.«
Sie starrte Edward an, der sich plötzlich umwandte, nicht zu mir, sondern zum Grab meiner Mutter, über das bereits wieder Unkraut und Nesseln zu kriechen schienen. »Origo mali!«, sagte er und spie die Worte regelrecht aus. Dann wirbelte er wieder zu mir herum und verlor vollkommen die Beherrschung. »Sie war eine Betrügerin und Diebin! Sie hat mich getäuscht, damit ich zustimme, mit ihr fortzugehen, indem sie behauptete, sie habe Geld. Geld! Das Einzige an Wert, das sie besaß, war der Anhänger, den sie an jenem Nachmittag gestohlen hat. Ich hatte nichts damit zu tun, ich war nicht daran beteiligt, ganz und gar nicht. Ich war entsetzt, als sie ihn mir zeigte, entsetzt!« Seine Stimme war jetzt voller Bitterkeit. »Sie hat jeden zum Narren gehalten, und ganz gewiss hat sie mich belogen! Du bist von niederer Geburt, ich habe nichts mit dir zu schaffen, nichts! Und das ist die ganze Wahrheit!«
33. Kapitel
Er hatte allen Grund zu lügen. Seine Frau stand daneben. Seine Kinder hatten aufgehört zu spielen, blickten von Ehrfurcht ergriffen zu ihrem normalerweise freundlichen Vater empor, der mit der Gehässigkeit eines radikalen Predigers ein Tirade auf mich losließ und dabei mit dem Finger auf meiner Mutter Grab deutete. Auf ihren Gesichtern lag der Ausdruck, den Kinder haben, wenn sie die entsetzliche Vorahnung einer herannahenden Katastrophe haben, aber nicht begreifen, was oder warum es geschieht. Die beiden Jüngsten flüchteten sich in die Arme der Gouvernante, und diese sprach flüsternd auf sie ein, um sie zu trösten.
Origo mali . Die Quelle des Bösen. Er irrte sich, wenn er auf das Grab meiner Mutter deutete. Die Quelle des Bösen war überall um mich herum. Das Land. Das fruchtbare Tal unter mir, das bis Highpoint reichte und noch weiter bis zu dem Land, das einst im Besitz der Pearces gewesen war. Das war die Quelle des Bösen, der Grund für die Fehde zwischen den Stonehouses und den Pearces, die wahrscheinlich bis in die Zeiten der Tudors oder sogar noch weiter zurückreichte. Der ursprüngliche Grund war vermutlich längst vergessen, mit früheren Generationen begraben. Und ich ließ nun die Fehde wieder aufleben. Jetzt begriff ich, warum Kate mich zum Aufbruch gedrängt hatte. Wenn ich die Wahrheit herausfände, wäre es das Ende des Streits? Nein! Es würde lediglich zu noch mehr Verbitterung und weiteren Konflikten führen. Unvermittelt empfand ich ein großes Verlangen, bei Will, Luke und Ben zu sein, in einem rechtschaffenen Streit, den ich verstand, und, wenn ich überlebte, zu Anne zurückzukehren. Ich konnte sie fast in meinen Armen spüren. Ich sehnte mich nach ihr und nach London mit seinem ganzen erbärmlichen Gestank!
Doch die Sehnsucht hielt nur so lange an, bis ich mein Pferd gefunden hatte. Wenn ich davonreiten würde, wäre es nicht vorbei. Seit ich geboren wurde, hatten die Stonehouses versucht, mich zu töten. Zuerst der Vater. Dann Richard. Und jetzt drohte Edward jeden Moment der Geduldsfaden zu reißen, und er sah aus, als wäre er ebenfalls dazu in der Lage. Meine Hände, mit denen ich nach den Zügeln griff, waren rot und weiß gefleckt von den Nesseln und zerkratzt von den Brombeeren, die ich vom Grab meiner Mutter gerissen hatte. Jetzt kannte ich sie. Was immer ich sonst noch sein mochte, ich war meiner Mutter Sohn. Ich würde vollenden, was sie begonnen hatte, oder bei ihr in dieser Vorhölle aus Unkraut landen, was zu meiner Natur ebenso wie zu ihrer besser passte als irgendein behaglicher, umhegter geweihter Boden. Ich stellte mir vor, wie sie die Worte sagte, von denen Kate mir erzählt
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