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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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besessen hatte, es für sie zu verfassen. Hatte sie es gelesen? Ebenso wie Mr Blacks unerwartetes Lob trieb mir dieser Gedanke die Tränen in die Augen. Die Vorstellung, dass sie überhaupt Notiz von mir genommen hatte und mehr in mir sah als jemand, über den man sich lustig machen und den man verspotten konnte, war eine Offenbarung.
    »Weinst du?«
    »Nein. Ja.«
    »Vielleicht bist du doch noch nicht ganz verloren, Affe.«
    In dem Spott lag etwas Weiches, oder war es nur meine Hoffnung? Doch über das folgende liebliche Geräusch konnte es keine Zweifel geben: Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Ich sprang auf, um die Tür zu öffnen, doch ehe ich das bewerkstelligen konnte, drehte sich der Schlüssel wieder zurück.
    »Wie kann ich die Tür öffnen, wenn du so ein Gedicht für mich geschrieben hast?«
    »Hast du es wirklich gelesen?«
    »Natürlich nicht! Mein Vater sagte, es sei so voller Widerwärtigkeiten …«
    »Widerwärtigkeiten!«, rief ich hitzig. »Du glaubst also, es sei widerwärtig, zu schreiben: Die Fenster Eurer Seele …«
    »Hör auf!«
    »Die in ihrem Schauen nicht mich erblicken …«
    »Ich werde nicht zuhören!«
    Ich hörte, wie sie ging. Der gelbe Schimmer ihrer Kerze unter der Tür flackerte auf und verschwand. In diesem Moment scherte mich das nicht. Es war das Erste, das ich je geschrieben hatte und das wahrhaftig sagte, was ich empfand, und die Worte kamen über meine Lippen, als führten sie ein Eigenleben.
    »Ich weiß, die Fenster Eurer Seele
    erblicken in ihrem Schauen nicht mich
    sondern einen fremden Satyr. Und doch,
    eines müßigen Tages, werden sie vielleicht
    dieser tumben Zeilen gewahr.
    Und lesen aus diesen ungelenken Worten
    meine vergebliche Hoffnung auf Eure Liebe.
    Allein, mir bleibt der Traum,
    durch meine Liebe zu Euch
    Euren Blick auf mir zu spüren.«
    Die Worte hatten mich beruhigt. Nun kehrten die Geräusche, das Rascheln der Ratten und das Tropfen von Wasser zurück. Und mittendrin ein anderes Geräusch, draußen vor der Kammer. Der schwächste Schein gelben Lichts tauchte wieder unter der Tür auf.
    »Anne? Miss Black?«
    »Das waren nicht die Worte, die mein Vater benutzt hat.«
    »Ich werde sie dir zeigen! Du hättest sie lesen sollen!«
    »Ich kann nicht lesen! Das weißt du doch!« Zorn und Demütigung lag in ihrer Stimme.
    Das hatte ich nicht gewusst. Ich hatte sie oft mit der Bibel in die Kirche gehen sehen oder beobachtet, wie sie einen der Gedichtbände von Richard Lovelace aufschlug, die wir druckten.
    »Ich bringe es dir bei.«
    »Du!« Die Verachtung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Du hast das Gedicht abgeschrieben. Diesen albernen Spruch hast du doch nie selbst geschrieben!«
    »Hab ich doch!«
    »Lügner!«, höhnte sie.
    Mein Zorn brach unkontrolliert aus mir hervor, und ich hämmerte wie rasend gegen die Tür. »Ich habe es selbst geschrieben, und es ist nicht albern, und ich liebe dich und werde dich immer lieben, Gott allein weiß warum!«
    Sie versuchte mich zum Schweigen zu bringen, doch ich gab erst Ruhe, als ich aus der Ferne Mr Blacks Grummeln hörte, gefolgt von Mrs Blacks schriller Stimme.
    »Da ist jemand!«
    Ich hörte ihn sagen: »Das ist Tom. Lass ihn so viel hämmern, wie er will.« Dann murmelte er etwas. Mrs Blacks Stimme wurde lauter, schärfer und drängender. »Ich höre jemanden reden!«
    Was immer Mr Black erwiderte, wurde von wütenden Gepolter und knarrenden Dielen übertönt.
    Bis jetzt hatte ich in Annes Tonfall nichts vernommen außer Heiterkeit und Spott, doch jetzt war Panik in ihrer Stimme. »O Gott! Er darf mich hier nicht finden!«
    »Geh! Geh jetzt!«, drängte ich.
    Ihre Schlafkammer befand sich ein Stockwerk über der von Mr und Mrs Black. Sie konnte es gerade noch schaffen. Als das Licht ihrer Kerze verschwand, hörte ich oben die Tür gehen, und einen Moment später war sie wieder da.
    »Es ist zu spät. Er kommt die Treppe herunter.«
    »Öffne die Tür!«
    Sie stöhnte leise vor Furcht. »Nein!«
    »Öffne sie!«
    Ich hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde, und machte die Tür auf. Anne trug ihr grünes Nachtgewand, genau wie ich es mir ausgemalt hatte. Den Rest hatte ich mir nie vorgestellt. Ihr wundervolles Haar war unter einer abgrundhässlichen Nachtmütze verborgen. Das hochmütige, spöttische junge Mädchen war verschwunden und zu diesem zitternden Etwas geworden, das Gesicht genauso blass wie die Kerze, die sie in der Hand hielt. Als ich das Gedicht schrieb, glaubte ich, wie

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