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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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erbittert vor St. Stephen’s Walbrook. Die Glocken der Kirche läuteten. Ich fragte einen Mann nach der Uhrzeit und ob es Zeit für den Gottesdienst sei. Er erklärte mir, es sei vier Uhr, und es gäbe keinen Gottesdienst. Die Glocken läuteten für den König.
    »Den König?«
    Wie blöde starrte ich ihn an.
    »Wisst Ihr es nicht? Der König hat Frieden mit den Schotten geschlossen. Er trifft morgen aus Edinburgh ein, um mit dem Parlament zu sprechen.«
    Der König würde zum Parlament sprechen! Wie gelähmt stand ich da. Der König würde sich die Forderungen des Parlaments anhören! Wie in einem Traum ging ich weiter. Ich hatte das Gefühl, dass das, was Mr Ink gesagt hatte, wahr werden würde, und dass wir am Tor zu einer neuen Welt standen.
    Es begann zu dämmern, aber es war noch zu früh, um Will, meinen Zechkumpanen, im Pot aufzusuchen. Ich hoffte, einen Schlafplatz bei ihm erbetteln zu können. Schon einmal war es abends zu spät geworden, um zum Half Moon Court zurückzukehren, und ich hatte im Tabakspeicher seines Vaters übernachtet. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Milane, die wie jeden Abend über Smithfield aufstiegen und herabstürzten, wie die Armen auf der Suche nach den Abfällen, die von den Schlachtern fortgeworfen worden waren. In der Long Lane blieb ich stehen. Als ich vom Half Moon Court fortgelaufen war, hatte Mr Black mir nachgerufen, ich befände mich in großer Gefahr. War das nur so dahingesagt, um mich zurückzulocken? Oder war es eine aufrichtige Warnung gewesen? Mir schien es, als habe ein Hauch echter Verzweiflung in seiner Stimme gelegen. Ich hatte immer noch meine Lehrlingskluft bei mir, zu einem Bündel zusammengerollt. Wieder und wieder drehte ich sie in den Händen, unfähig mir einzugestehen, dass das Band zwischen uns tatsächlich gerissen war.
    Vom Half Moon Court her waren die Geräusche von Pferdehufen zu hören. Eine Stimme, die ich nicht kannte, brüllte barsche Kommandos.
    Eine Frau mit einem Jungen und einem Mädchen an ihren Rockzipfeln kam aus dem Markt und umklammerte ein blutiges Bündel in einem Tuch, in Hochstimmung über das Abendessen. Das Mädchen trug ein abgenutztes Holzspielzeug, und der Junge versuchte, es sich zu schnappen. Das Mädchen rannte vor ihm davon in die Straße, gerade als eine Mietkutsche aus Cloth Fair in die Long Lane bog.
    Der Junge hielt nur kurz inne, doch das Mädchen blieb wie angewurzelt vor der herannahenden Kutsche stehen. Der Kutscher, der auf einem der beiden Pferde ritt, riss verzweifelt an den Zügeln. Das Pferd, auf dem er saß, reagierte, doch das andere bäumte sich auf und schleifte den Wagen in einem Bogen auf das Kind zu. Das Mädchen starrte zu dem steigenden Pferd empor, mehr Erstaunen als Angst im Blick. Die Frau schrie. Ein Mann in der Kutsche brüllte, doch seine Stimme erstarb, als er zur Seite geschleudert wurde. Die wild um sich schlagenden Hufe senkten sich über das Kind. Endlich drehte sich die Kleine um und begann zu rennen.
    Ich schleuderte das Bündel mit meiner Uniform gegen den Kopf des Pferdes. Das Pferd scheute, wieherte zornig und stürzte gegen das andere Tier. Die Hufe gingen nur wenige Zoll neben dem Mädchen hernieder, als ich die Kleine packte.
    Ich stand da und hielt sie fest, während der Kutscher sich bemühte, die panischen Pferde zu beruhigen. Ich zitterte, aber das Mädchen wirkte unbeeindruckt.
    »Pferd«, sagte sie und streckte die Hand nach dem Tier aus, das der Kutscher gerade wieder einspannte.
    »Pferd«, bestätigte ich und strich ihr übers Haar. »Pferd.«
    Ihre Mutter schluchzte erleichtert und kam auf uns zu, als der Vorhang der Kutsche zurückglitt. Alles, was ich sehen konnte, war eine Narbe. Eine dunkelviolette Narbe, die von der Wange bis zum Hals reichte. Der Mann hatte sich auf seinem Sitz umgedreht, und die Narbe schien mich zu verfluchen und zu verdammen.
    Wie versteinert presste ich das Mädchen an mich. Mein Hut war heruntergefallen, und es war immer noch hell genug, dass man mein leuchtend rotes Haar ausmachen konnte. Doch der Mann in der Kutsche achtete nicht auf mich, sondern richtete sich auf und rieb sich fluchend den Kopf, den er sich gestoßen hatte.
    Dann wandte er sich mir zu. Ich erhaschte einen Blick auf das feine Leinenzeug, das er trug, und Augen, die so kalt wie Münzen waren. Ehe er mein Gesicht sehen konnte, hob ich das kleine Mädchen hoch in die Luft und wiegte sie vor mir hin und her, um mein Haar zu verbergen. Sie quietschte vor

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