Peter Hoeg
habe. Die roten Zahlen auf dem Echolot. Die Konsole für das Navigationssonar. Der Krängungsmesser. Ein Sextant im Stativ. Instrumentenpaneele. Das Maschinentelefon. Die Klarsichtscheiben. Ein Funkpeiler. Der Autopilot. Zwei Paneele mit Voltessern und Kontrollampen. Und über allem: das wachsame, verschlossene Gesicht von Lukas.
Aus dem VHP kommt ein ununterbrochenes Knacken. Ohne den Blick abzuwenden, streckt er die Hand aus und schaltet ihn aus. Es wird still.
»Sie sind an Bord, weil wir eine Kajütenstewardeß gebraucht haben. Heute heißt das ja so. Aus keinem anderen Grund. Unser Gespräch war ein Einstellungsgespräch, nichts anderes.«
In meinen schlappenden Seestiefeln und dem viel zu großen Pullover fühle ich mich wie ein kleines Mädchen, das Rede und Antwort stehen muß. Er sieht mich nicht ein einziges Mal an.
»Wir haben nicht mitgeteilt bekommen, wohin wir fahren. Wir werden es später erfahren. Bis dahin fahren wir einfach der Nase nach nordwärts.«
Etwas an ihm hat sich verändert. Es sind seine Zigaretten. Sie fehlen. Vielleicht raucht er auf See nicht. Vielleicht fährt er zur See, um den Spieltischen und den Zigaretten zu entkommen.
»Steuermann Sonne wird Sie herumführen und Ihnen Ihre Arbeitsbereiche zeigen. Ihre Arbeit besteht aus ein bißchen Putzen, außerdem sind Sie für die Schiffswäscherei zuständig. Gelegentlich werden Sie den Offizieren auch das Essen servieren.«
Bleibt die Frage, warum er mich überhaupt mitgenommen hat.
Als ich schon an der Tür bin, ruft er mir nach, bitter, leise.
»Sie haben gehört, was ich gesagt habe, nicht wahr? Sie haben verstanden, daß wir ausgelaufen sind, ohne zu wissen, wohin wir fahren.«
Sonne wartet vor der Tür auf mich. Jung, korrekt, kurzer Haarschnitt. Wir klettern ein Stockwerk tiefer, auf das Bootsdeck. Er dreht sich zu mir um, senkt die Stimme und sieht mich ernst an.
»Wir haben auf dieser Reise Vertreter der Reeder dabei. Sie bewohnen die Räume auf dem Bootsdeck. Der Zutritt ist strengstens untersagt. Es sei denn, man ruft Sie zum Servieren. Sonst: Kein Zutritt. Kein Saubermachen. Sie haben hier nichts zu suchen.«
Wir gehen weiter nach unten. Auf dem Promenadendeck befinden sich Wäscherei, Trocken- und Wäscheraum. Auf dem Oberdeck, wo meine Kajüte liegt, sind Wohnräume, Büros für Maschinenmeister und Elektriker, Messen, die Kombüse. Auf dem zweiten Deck Kühl- und Gefrierräume für die Lebensmittel, Stauräume, zwei Werkstätten, CO 2 -Räume. All das liegt in und unter den Aufbauten, davor und weiter vorn sind Maschinenraum, Tanks, Durchgänge und Laderäume.
Ich folge ihm auf das Oberdeck. Den Gang entlang, an meiner Kajüte vorbei. Hinten, auf der Steuerbordseite, liegt die Messe. Er stößt die Tür auf, wir treten ein.
Ich lasse mir viel Zeit und zähle in dem kleinen Raum elf Leute.
Fünf Dänen, sechs Asiaten, zwei der letzteren sind Frauen. Drei der Männer sehen aus wie kleine Jungen.
»Smilla Jaspersen, die neue Stewardeß.«
Es ist immer so gewesen. Ich stehe allein in der Tür, vor mir sitzen die anderen. Mal ist es eine Schule, mal die Universität, mal irgendeine Versammlung. Es ist nicht unbedingt so, daß sie etwas gegen mich haben, es kann auch sein, daß ich ihnen einfach egal bin, aber fast immer ist es, als wären sie mich am liebsten los.
»Verlaine, unser Bootsmann. Hansen und Maurice. Die drei haben das Deck unter sich. Maria und Fernanda, Schiffsgehilfinnen.«
Das sind die beiden Frauen.
An der Tür zur Kombüse steht ein großer, schwergewichtiger Mann in weißer Kochuniform und mit rotbraunem Vollbart.
»Urs, unser Koch.«
Sie haben alle etwas Gedämpftes und Diszipliniertes. Ausgenommen Jakkelsen. Er lehnt unter dem Schild ›Rauchen verboten‹ an der Wand und hat eine Zigarette im Mund. Sein eines Auge hat er wegen des Rauchs zusammengekniffen, mit dem anderen betrachtet er mich aufmerksam.
»Das ist Bernard Jakkelsen«, sagt der Steuermann. Er zögert einen Augenblick.
»Er arbeitet auch an Deck.«
Jakkelsen ignoriert ihn:
»Jaspersen soll unsere Kajüten in Ordnung halten. Sie wird einiges zu tun haben, wenn sie bei elf Besatzungsmitgliedern und vier Offizieren ausmisten muß. Ich jedenfalls habe die Tendenz, meine Sachen einfach auf den Boden fallen zu lassen, verstehste.«
Weil meine Gummistiefel zu groß sind, sind mir die Socken über die Hacken gerutscht. Mit heruntergerutschten Socken kann man nicht menschenwürdig leben. Wenn man dann auch noch müde ist
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