Peter Hoeg
und Angst hat. Und dann lachen sie. Kein herzliches Lachen. Doch von der mageren Gestalt geht eine Dominanz aus, die den Raum in die Knie zwingt.
Ich verliere die Beherrschung. Packe seine Unterlippe und drücke zu. Ziehe sie von den Zähnen weg. Als er mein Handglenk umklammert, greife ich mit der Linken nach seinem kleinen Finger und biege das letzte Glied nach innen. Kreischend wie eine Frau geht er in die Knie. Ich verstärke den Druck.
»Weißt du, wie ich in deiner Kajüte aufräume«, sage ich. »Ich mache das Bullauge auf. Und dann stelle ich mir vor, ich hätte einen großen Schrank aufgemacht. Und lege alles dort hinein. Und hinterher spüle ich mit Salzwasser nach.«
Ich lasse ihn los und trete zur Seite. Aber er versucht nicht, an mich heranzukommen. Er kommt langsam hoch und tastet sich zu einer gerahmten Aufnahme der Kronos vor einem Tafeleisberg in der Antarktis hin. Verzweifelt spiegelt er sich in dem Glas.
»Das gibt einen Bluterguß, verdammt noch mal, einen richtigen Bluterguß.«
Keiner im Raum hat sich gerührt.
Ich richte mich auf und schaue in die Runde. Man bittet im Grönländischen nicht gern um Verzeihung. Auf dänisch habe ich das Wort nie gelernt.
In meiner Kajüte schiebe ich den Tisch vor die Tür und klemme Bugges grönländisches Wörterbuch unter der Türklinke fest. Dann gehe ich ins Bett. Ich habe die berechtigte Hoffnung, daß mich der große Hund heute nacht in Ruhe läßt.
2
Es ist halb sieben, doch sie haben schon gegessen, und abgesehen von Verlaine ist die Messe leer. Ich trinke ein Glas Orangensaft und gehe wegen der Arbeitssachen mit ihm zum Depot. Er taxiert mich mit einem nüchternen Blick und reicht mir einen Stapel Klamotten.
Vielleicht ist es die Arbeitskleidung, vielleicht die Umgebung, vielleicht auch seine Hautfarbe. Einen Augenblick lang jedenfalls spüre ich den Drang nach Kontakt.
»Was ist deine Muttersprache?«
»Ihre«, sagt er sanft, »was ist Ihre Muttersprache.«
Sein Dänisch hat in jedem Wort eine leichte Hebung, wie im Fünischen.
Wir sehen einander in die Augen. In der Brusttasche hat er eine Plastiktüte. Daraus holt er einen Klumpen zusammengebackten Reis. Er steckt ihn in den Mund, kaut langsam und gründlich, schluckt, reibt die Handflächen aneinander.
»Bootsmann«, fügt er hinzu. Dann dreht er sich um und geht. Nichts unter der Sonne ist so grotesk wie die in der dritten oder vierten Welt praktizierte kalte europäische Höflichkeit.
In meiner Kajüte ziehe ich mich um. Er hat mir die richtigen Größen gegeben. Soweit Arbeitskleidung überhaupt jemals die richtige Größe haben kann. Ich versuche es mit einem Gürtel um den Kittel. Jetzt sehe ich nicht mehr aus wie ein Postsack. Eher wie eine eins sechzig große Eieruhr. Ich binde mir ein Seidentuch um die Haare. Ich soll saubermachen und will keinen Staub auf dem feinen Pelz haben, der allmählich meinen kahlen Fleck bedeckt. Ich hole einen Staubsauger. Ich stelle ihn im Gang ab und schlendere gelassen in die Messe. Nicht um mein Frühstück fortzusetzen. Ich habe keinen Bissen herunterbekommen. Das Meer vor meinem Bullauge ist im Laufe der Nacht in meinen Magen eingesickert und hat sich mit dem Geruch von Dieselöl und dem Bewußtsein vermischt, auf hoher See zu sein, und mir eine laue, flaue Übelkeit beschert. Es gibt Leute, die behaupten, man könne Seekrankheit dadurch bekämpfen, daß man sich auf Deck an die frische Luft stellt. Das funktioniert vielleicht, wenn man am Kai liegt oder durch den Falsterbokanal fährt, wo man nach oben gehen und sich den festen Boden anschauen kann, den man bald unter den Füßen haben wird. Als ich heute morgen von Sonne gepurrt werde, der an meine Tür klopft, um mir einen Schlüssel zu geben, ich mich anziehe, in Daunenjacke und Skimütze an Deck stelle, in eine stockfinstere Winterdunkelheit hinausschaue und begreife, daß ich jetzt weitermachen muß, weil ich auf hoher See bin und es keinen Weg zurück gibt, wird mir erst richtig schlecht. In der Messe sind die beiden Tische abgeräumt und abgewischt. Ich stelle mich an die Tür zur Kombüse. Urs schlägt in einem Topf kochende Milch schaumig. Ich schätze ihn auf 115 Kilo. Aber festes Fleisch. Die Dänen werden im Winter blaß. Doch sein Gesicht changiert ins Grünliche. Und ist in der Hitze der Kombüse von einer leichten Schweißschicht bedeckt.
»Ein vorzügliches Frühstück.«
Ich habe es nicht angerührt. Aber irgendwo muß eine Konversation ja anfangen.
Er lächelt mir
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