Peter Hoeg
zu und kehrt zu seiner Milch zurück, wobei er die Achseln zuckt.
»I am Schweizer. I don't understand Danish.«
Ich habe das Privileg genossen, Fremdsprachen lernen zu dürfen. Statt wie die meisten anderen Leute nur eine blasse Ausgabe der Muttersprache zu sprechen, bin ich noch in zwei bis drei anderen Sprachen hilflos. Ich wiederhole also alles noch einmal auf deutsch.
»Beeindruckend. Wie in einem erstklassigen Restaurant«, sage ich.
»I han so as Restaurant gha. In Genf. Bim See.«
Auf einem Tablett hat er Kaffee, heiße Milch, Orangensaft, Butter und Croissants angerichtet.
»Für die Brücke?«
»Nein. Das Frühstück wird nit serviert. Es chunt mit dem Eßlift uffa. Aber wenn Sie am Viertel ab elfi chömmet, Fräulein, dann essen die Offiziere z' Mittag.«
»Wie ist das, auf einem Schiff zu kochen?«
Die Frage ist eine Ausrede für mein Stehenbleiben. Er hat das Tablett in den Aufzug gestellt und auf den Knopf mit ›Navigation Bridge‹ gedrückt. Jetzt bereitet er das nächste Tablett vor. Und das interessiert mich. Das Frühstück besteht aus Tee, Toast, Käse, Honig, Marmelade, Orangensaft und einem weichgekochten Ei. Drei Tassen und drei Teller. Auf dem Bootsdeck, zu dem der Stewardeß der Zugang verwehrt ist, hat die Kronos also drei Passagiere.
Er stellt das Tablett in den Aufzug und drückt auf ›Boat Deck‹.
»Nit schlecht. Außerdem isch es nötig gsi. Also elf Uhr fünfzehn.«
Der Plan für den Weltuntergang liegt fest. Er fängt mit drei tiefgefrorenen Wintern an, in denen die Seen, Flüsse und Meere zufrieren. Die Sonne wird sich abkühlen, so daß sie keinen Sommer mehr zustande bringt, Schnee wird fallen, eine weiße, schonungslose Unendlichkeit. Es wird ein langer, unerbittlicher Winter kommen, und zuletzt wird der Wolf Skoll die Sonne schlucken. Mond und Sterne werden verlöschen, und es wird eine bodenlose Finsternis herrschen. Der Fimbulwinter.
In der Schule haben sie uns beigebracht, daß sich die Nordländer den Weltuntergang so vorgestellt haben, bis das Christentum sie lehrte, daß das All im Feuer vergehen wird. Ich habe mich immer daran erinnert, nicht weil es mich persönlich mehr anging als vieles andere, sondern weil es dabei um Schnee ging. Als ich die Geschichte zum erstenmal hörte, dachte ich, das müsse eine Wahnvorstellung von Menschen sein, die das Wesen des Winters nie begriffen haben.
In Nordgrönland waren die Ansichten geteilt. Meine Mutter und mit ihr viele andere zogen den Winter vor. Wegen der Jagd auf dem Neueis, wegen des tiefen Schlafs, wegen der Basteleien zu Hause, am meisten aber wegen der Besuche. Der Winter war eine Zeit des Beisammenseins, keine Zeit des Weltuntergangs.
In der Schule wurde uns auch erzählt, daß die dänische Kultur seit dem Altertum und der Theorie vom Fimbulwinter mächtige Fortschritte gemacht habe. In gewissen Augenblicken fällt es mir schwer zu glauben, daß das wirklich stimmt. Wie jetzt, wo ich das Solarium im Fitneßraum der Kronos mit Haushaltssprit abreibe.
Das ultraviolette Licht eines eingeschalteten Solariums spaltet kleine Mengen Sauerstoff der atmosphärischen Luft und bildet das instabile Ozon. Seinen scharfen Kiefernnadelgeruch gibt es im Sommer auch in Qaanaaq, in dem fast schmerzend gleißenden Sonnenlicht über den Reflektoren Schnee und Meer.
Es gehört zu meinen Arbeitsaufgaben, diesen nachdenklich stimmenden Apparat mit Spiritus abzureiben. Ich habe immer gern saubergemacht. Obwohl sie uns in der Schule das Faulenzen beibringen wollten.
Im ersten halben Jahr wurden wir in der Siedlung von der Frau eines Robbenfängers unterrichtet. An einem Sommertag dann kamen sie vom Schulheim und wollten mich in die Stadt mitnehmen. Ein dänischer Pfarrer und ein westgrönländischer Katechet. Sie teilten Befehle aus, ohne sich unsere Gesichter anzuschauen. Sie nannten uns avanersuarmiut , Leute aus dem Norden.
Moritz zwang mich fortzugehen. Mein Bruder war schon zu groß und zu stur für ihn. Das Internat lag in Qaanaaq, direkt in der Stadt. Ich blieb fünf Monate, bis mein Kampfgeist soweit gereift war, daß ich mich verweigern konnte.
In der Schule wurden uns die Mahlzeiten vorgesetzt. Wir wurden jeden Tag heiß geduscht und bekamen alle zwei Tage saubere Sachen. In der Siedlung hatten wir nur einmal in der Woche gebadet, auf der Jagd und auf Reisen sehr viel seltener. Jeden Tag hatte ich vom Gletscher über den Klippen kangirluarhuq geholt, große Blöcke aus Süßwassereis, sie in Säcken zum Haus
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