Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Vom Netzwerk:
getragen und auf dem Ofen geschmolzen. Im Internat drehte man einen Hahn auf. Als die Sommerferien kamen, fuhren alle Schüler und Lehrer nach Herbert Island hinaus und besuchten die Robbenfänger. Zum erstenmal seit langer Zeit bekamen wir gekochtes Robbenfleisch und Tee. Dort spürte ich die Lähmung. Nicht nur bei mir, sondern bei uns allen. Wir konnten uns nicht mehr zusammennehmen, es war keine Selbstverständlichkeit mehr, daß man sich Wasser und Schmierseife und das Paket mit Neogen griff und sich daranmachte, Robbenhäute zu waschen. Es war auf einmal ungewohnt, seine Sachen selber waschen zu müssen, und unmöglich, sich zum Kochen aufzuraffen. In jeder Pause verfielen wir in ein träumerisches Abwarten. In dem wir hofften, daß jemand das Kommando übernehmen, uns ablösen, uns von unseren Pflichten befreien und all das tun würde, was wir selbst hätten tun sollen. Als ich begriff, wohin das führte, trotzte ich Moritz zum erstenmal und ging zurück. Es war zugleich eine Rückkehr zu einer relativen Zufriedenheit über das Arbeiten.
    Dieselbe relative Zufriedenheit meldet sich jetzt, als ich die Kajüten auf dem Oberdeck der Kronos sauge, die Mannschaftsetage. Dasselbe Gefühl der Ruhe wie in meiner Kindheit, wenn ich Netze flickte. In sämtlichen Mannschaftskajüten herrscht strenge Ordnung. Wer sich wie ich durch die Internate des Lebens geschlagen hat, versteht das. Wenn man für sich und seine allerinnersten Gefühle nur wenige Kubikmeter zur Verfügung hat, muß in diesem privaten Raum, wenn er dem von der Umwelt ausgehenden Druck zum Aufgeben, zur Auflösung und Destruktion widerstehen können soll, peinlichste Ordnung herrschen.
    Auf seine eigene Weise hatte auch Jesaja diesen peinlich genauen Sinn für Ordnung besessen. Der Mechaniker hatte ihn ebenfalls. Die Besatzung der Kronos hat ihn. Überraschenderweise auch Jakkelsen. An den Wänden hat er Wimpel, Postkarten und kleine Souvenirs aus Südamerika, dem Fernen Osten, Kanada und Indonesien.
    Alle Sachen im Schrank sind sorgfältig zusammengelegt und gestapelt.
    Zwischen diesen Stapeln taste ich mich vor. Ich nehme die Matratze hoch und staubsauge den Bettkasten. Ich ziehe die Schreibtischschubladen heraus, knie mich hin und schaue unter die Tischplatte, taste sorgfältig die Matratze ab. Er hat den Schrank voller Hemden, ich befühle sie alle. Einige sind aus sandgewaschener Seide. Er hat eine Sammlung Rasierwasser und Eau de toilette, die teuer und süßlich nach Alkohol riecht, ich öffne die Flaschen und träufele ein bißchen auf eine Papierserviette, die ich später zu einer Kugel rolle und in die Kitteltasche stecke, um sie irgendwann in die Toilette zu werfen. Ich suche etwas Bestimmtes und finde es nicht. Weder das noch irgend etwas anderes von Interesse.
    Ich stelle den Staubsauger zurück und gehe nach unten, am zweiten Deck, an den Kühlräumen und Magazinen vorbei und von dort aus weiter die Treppe hinunter, hinter deren einer Seitenwand der Schornsteinabzug liegen muß. Die andere Seitenwand trägt die Aufschrift Deep Tank . Am Ende der Treppe liegt die Tür zum Maschinenraum. In der Hand habe ich als fertige Ausrede einen Schrubber und einen Eimer, und sollte das nicht ausreichen, kann ich immer noch auf die bewährte, immer noch wirkungsvolle Geschichte zurückgreifen, daß ich Ausländerin bin und mich deshalb verirrt habe.
    Die Tür ist schwer und isoliert. Als ich sie aufmache, ist der Lärm zunächst ohrenbetäubend. Ich komme auf eine Stahlplattform, von der eine Laufbrücke unter der Decke um den ganzen Raum führt.
    Auf dem Boden, zehn Meter unter mir, steht auf einem leicht erhöhten Fundament in der Raummitte die Maschine. Sie ist zweiteilig, hat einen Hauptmotor mit neun freiliegenden Zylinderköpfen und einen sechszylindrigen Hilfsmotor. Ruckend und rhythmisch arbeiten die polierten Ventile wie Teile eines klopfenden Herzens. Der gesamte Motorblock ist vielleicht fünf Meter hoch und zwölf Meter lang, und das Ganze macht den Eindruck einer überwältigenden, gezähmten Wildheit. Es ist kein Mensch zusehen.
    Der Stahl der Laufbrücke ist gegittert, meine Leinenschuhe wandern direkt über den Abgrund unter mir.
    Überall verbieten fünfsprachige Schilder das Rauchen. Einige Meter vor mir ist eine Einbuchtung. Von dorther ziehen leichte blaue Tabakschwaden in den Raum. Jakkelsen sitzt auf einem Klappstuhl, die Beine auf einem Arbeitstisch, und raucht eine Zigarre. Einen Zentimeter unter seiner Unterlippe hat er über die

Weitere Kostenlose Bücher