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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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ganze Breite des Mundes einen Bluterguß. Ich lehne mich an den Tisch. Um meine Hand diskret auf den dreizehnzölligen Engländer legen zu können, der dort liegt.
    Er nimmt die Füße herunter und legt die Zigarre beiseite. Sein Gesicht leuchtet mit einem Lächeln auf.
    »Smilla. An dich habe ich gerade eben gedacht.«
    Ich lasse den Engländer los. Jakkelsen hat seine Rastlosigkeit zwischenzeitlich weggepackt.
    »Ich habe einen schwachen Rücken, verstehste. Auf anderen Schiffen geht man es ruhig an, wenn man auf Fahrt ist. Aber hier fangen wir um sieben an. Mit Rostklopfen, Spleißen von Trossen, Streichen, Abschlagen von Abbrand und Messingputzen. Wie soll man denn seine Hände vorzeigbar halten, wenn man jeden Tag Trossen spleißen muß?«
    Ich sage nichts. Ich erprobe an Bernard Jakkelsen das Schweigen. Er erträgt es sehr schlecht. Selbst jetzt, wo er seine Laune nicht gegen sich hat, spürt man die versteckte Nervosität.
    »Wo willst du hin, Smilla?«
    Ich warte einfach.
    »Ich fahre schon fünf Jahre zur See, aber das hier ist mir noch nie begegnet. Alkoholverbot. Uniform. Niemand darf aufs Bootsdeck. Und selbst Lukas sagt, daß er nicht weiß, wohin wir fahren.«
    Er greift wieder nach der Zigarre.
    »Smilla Qaavigaaq Jaspersen. Das muß ein grönländischer Mittelname sein . . .«
    Er muß in meinen Paß geschaut haben. Der im Geldschrank des Schiffes liegt. Das gibt zu denken.
    »Ich habe mir das Schiff hier genauer angesehen. Ich weiß alles über Schiffe. Das hier hat doppelte Spanten und Eisverstärkungen auf der gesamten Länge. Vorn sind die Platten so dick, daß sie eine Panzergranate aushalten.«
    Er sieht mich pfiffig an.
    »Hinten, über der Schraube, hat es Eismesser. Die Maschine da gibt mindestens 6.000 PS her, das reicht für 16 bis 18 Knoten. Wir sind auf dem Weg ins Eis. Das ist bombensicher. Wir sind doch wohl nicht zufällig auf dem Weg nach Grönland?«
    Ich brauche nicht zu antworten, um ihn in Gang zu halten.
    »Und dann die Besatzung. Ein Misthaufen. Und die stecken zusammen. Kennen sich alle. Und Angst haben sie, aber kein Wort herauszukriegen, warum. Und die Passagiere, die man nie sieht. Warum müssen die wohl mit?«
    Er legt die Zigarre weg. Er hat sie nicht wirklich genossen.
    »Und dann noch du, Smilla. Ich bin schon auf unzähligen Viertausendtonnern gefahren. Die haben weiß Gott nie eine Kajütenstewardeß gehabt. Und schon gar keine, die sich aufführt wie eine Primadonna.«
    Ich hebe seine Zigarre auf und lasse sie in meinen Eimer plumpsen. Sie verlöscht mit leisem Zischen.
    »Ich mache gerade sauber«, sage ich.
    »Wozu hat er dich an Bord genommen, Smilla?«
    Ich antworte ihm nicht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
     
    Erst als die Tür des Maschinenraums hinter mir zufällt, merke ich, wie nervenaufreibend der Lärm gewesen ist. Die Stille ist wohltuend.
    Verlaine, der Bootsmann, steht auf dem mittleren Absatz an die Wand gelehnt. Unwillkürlich wende ich mich zur Seite, als ich an ihm vorbei muß.
    »Verirrt?«
    Aus seiner Brusttasche holt er einen Klumpen Reis und schiebt ihn sich in den Mund. Er verliert kein Körnchen, an seinen Händen bleibt nichts zurück, die gesamte Bewegung ist sauber und routiniert.
    Ich sollte vielleicht eine Entschuldigung versuchen, aber ich hasse Verhöre.
    »Nur auf Abwegen.«
    Ein paar Stufen weiter fällt mir etwas ein.
    »Herr Bootsmann«, füge ich hinzu. »Nur auf Abwegen, Herr Bootsmann.«

3
    Ich versetze dem Wecker einen Handkantenschlag. Er schießt wie ein Projektil durch die Kajüte, knallt gegen die Haken an der Tür und fällt zu Boden.
    Mit lebenslänglichen Phänomenen komme ich nicht gut zurecht: mit Gefängnisstrafen, Eheverträgen, Anstellungen auf Lebenszeit. Mit Versuchen, Teile des Daseins festzuhalten und sie aus dem Lauf der Zeit herauszuhalten. Noch schlimmer ist es allerdings mit den Dingen, die ewig halten sollen. Wie jetzt mein Wecker. Eternity clock . So hieß er. Ich habe ihn aus dem zerschmetterten Armaturenbrett des zweiten NASA-Mondlandefahrzeugs ausgebaut, nachdem es auf dem Inlandeis Totalschaden erlitten hatte. Es konnte sich nicht behaupten, genauso wenig wie die Amerikaner die 55 Grad Frost und die Windstärken aushalten konnten, die weit über die Beaufortskala hinausgegangen waren.
    Sie haben nicht gemerkt, daß ich die Uhr mitgenommen habe. Ich nahm sie, um ein Souvenir zu haben und zu beweisen, daß bei mir kein Immergrün gedeiht, bei mir hält selbst das amerikanische Raumprogramm keine

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