Peter Hoeg
drei Wochen.
Jetzt hält der Wecker schon zehn Jahre. Zehn Jahre nur Brutalität und böse Worte. Aber sie haben schon damals hohe Erwartungen an das Ding geknüpft. Sie sagten, man könne ihn in die Flamme eines Schneidbrenners halten, in Schwefelsäure kochen und im Philippinengraben versenken und er würde trotzdem die Zeit anzeigen, als sei nichts geschehen. Für mich war diese Behauptung eine grobe Provokation. In Qaanaaq fanden wir Armbanduhren hübsch. Einige Robbenfänger trugen sie als Schmuck. Aber wir dachten nicht im Traum daran, uns danach zu richten.
Das erzählte ich Gil, der fuhr (ich saß im Beobachtercockpit und sagte ihm, wann der Firn die viel zu dunkle oder viel zu weiße Farbe annahm, die bedeutet, daß er nicht hält, sondern sich öffnen und die Erde fünfzehn Tonnen idiotischen amerikanischen Mondtraum verschlingen lassen wird, und zwar von einer dreißig Meter tiefen, strahlend blauen und grünen Spalte, die sich nach unten verengt und alles, was fällt, in klammernder Umarmung und 30 Grad Kälte verkeilt). In Qaanaaq richten wir uns nach dem Wetter, sagte ich zu ihm. Wir richten uns nach den Tieren. Nach der Liebe. Dem Tod. Nicht nach einem Stück Blechmechanik.
Ich war gerade Anfang Zwanzig. In dem Alter kann man mit größerem Selbstvertrauen lügen – sich sogar selbst belügen. In Wirklichkeit war die europäische Uhrzeit damals schon längst bis nach Grönland vorgedrungen, lange vor meiner Geburt. Sie kam mit den Öffnungszeiten des Grönlandhandels, mit den Zahlungsterminen, den Kirchenzeiten und der Lohnarbeit.
Ich habe mit einem Vorschlaghammer auf den Wecker eingeschlagen, doch davon bekam nur der Hammer Schrammen. Jetzt habe ich es aufgegeben. Jetzt begnüge ich mich damit, ihn auf den Boden zu fegen, wo er liegenbleibt und unbeeindruckt und elektronisch singt und es mir erspart, auf der Brücke antreten zu müssen, ohne kaltes Wasser ins Gesicht gekriegt und mir etwas auf die Augen geschmiert zu haben.
Es ist 2.30 Uhr. Im nördlichen Atlantik ist das mitten in der Nacht. Gegen 22 Uhr kam Lukas' Stimme nur mit dem grünen Blinken als Vorwarnung aus der Gegensprechanlage über dem Bett. Wie eine Invasion in dem kleinen Raum.
»Jaspersen. Um drei Uhr früh Kaffee auf der Brücke.«
Erst als die Uhr auf den Boden fällt, gibt der Wecker einen Ton von sich. Ich bin von allein aufgewacht. Geweckt durch das Gefühl einer atypischen Aktivität. Vierundzwanzig Stunden haben ausgereicht, um den Rhythmus der Kronos zu dem meinen zu machen. Ein Schiff auf See ist nachts still. Natürlich stampft die Maschine, die langen, hohen Seen schlürfen an der Schiffsseite entlang, und ab und zu zerschmettert der Steven einen Block von fünfzig Tonnen Wasser zu feinem flüssigem Pulver. Aber das ist ein gleichmäßiger Lärm, und wenn sich die Geräusche oft genug wiederholen, werden sie zur Stille. Auf der Brücke wechseln die Wachen, irgendwo schlägt eine Uhr Glasen. Doch die Menschen schlafen.
In dieser bekannten Kulisse herrscht jetzt Unruhe. Stiefel auf den Korridoren, Türenschlagen, Stimmen, Lautsprechergeräusche und das ferne Brummen hydraulischer Spille.
Auf der Treppe zur Brücke stecke ich den Kopf auf das Deck hinaus. Es ist dunkel. Ich höre Schritte und Stimmen, aber nirgendwo ist Licht. Ich gehe in die Dunkelheit hinaus.
Ich habe keinen Mantel an. Die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt, der Wind kommt von achtern, die Wolkendecke ist niedrig und geschlossen. Die Seen werden erst ganz nahe beim Schiff sichtbar, doch die Wellentäler wirken lang wie Fußballfelder. Das Deck ist glatt und vom Salzwasser schlüpfrig. Ich ducke mich hinter die Reling, um mich zu schützen und sowenig wie möglich aufzufallen. Bei der Persenning komme ich im Dunkeln an einer Gestalt vorbei. Vorn ist schwaches Licht. Es kommt aus dem vorderen Laderaum. Die Luken sind zur Seite geschoben, um die Öffnung hat man ein Geländer hochgezogen. Von den beiden rückwärtigen Ladebäumen des vorderen Mastes führen zwei Stahltrossen in die Öffnung hinunter. Über das Geländer hängt vorn und achtern eine schwere, blaue Nylontrosse. Kein Mensch ist zu sehen.
Der Raum ist überraschend tief und wird von vier Leuchtstoffröhren erleuchtet, einer an jedem Schott. Zehn Meter tiefer sitzt auf dem Deckel eines großen Metallcontainers Verlaine. An jeder Kistenecke hat man einen weißen Glasfaserbehälter angebracht, der denen für die aufblasbaren Rettungsboote ähnelt.
Das kann ich gerade noch sehen. Von
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