Peter Hoeg
hinten packt mich jemand am Kittel.
Ich gebe der Bewegung nach, aber nicht resigniert, sondern um um so stärker zurückgeben zu können. Im selben Moment krängt das Schiff, wir verlieren den Halt und fallen rückwärts gegen das Kontrollpaneel für die Spille und in eine Aftershaveduftwolke, die ich kenne.
»Idiot, du Idiot!«
Jakkelsen ringt nach der Anstrengung nach Atem. In seinem Gesicht und seiner Stimme ist etwas, was vorher nicht da war. Eine Spur von Angst.
»Auf diesem Schiff wird kommandiert wie in alten Zeiten. Du hältst dich an die Bereiche, die dir zugeteilt sind.«
Er sieht mich fast flehentlich an.
»Hau ab. Los.«
Ich gehe zurück. Halb flüstert er, halb schreit er, als er mir gegen den Wind hinterherruft.
»Du willst wohl in dem großen, nassen Schrank enden, was?«
Ich ramme mit dem Tablett erst die eine, dann die andere Seite des Türrahmens, dann komme ich elegant und geschirrklappernd in den dunklen Raum.
Niemand spricht mit mir. Nach einiger Zeit bewege ich mich rückwärts und suche auf dem Tisch unter Linealen und Meßzirkeln nach einem Platz für die Tassen und die Kopenhagener.
»Zwei Minuten, achthundert Meter.«
Er ist nur ein Schemen in der Dunkelheit, aber ein Schemen, den ich noch nicht gesehen habe. Er steht über die grünen Zahlen des elektronischen Logs gebeugt.
Der Blätterteig riecht nach Butter. Urs ist ein sorgfältiger Koch. Der Duft wird weggewirbelt, weil die Tür offensteht. Auf der Nock ahne ich Sonnes Rücken.
Über einer Seekarte wird eine schwache, rote Birne eingeschaltet, aus der Dunkelheit tritt Sigmund Lukas' Gesicht hervor.
»Fünfhundert Meter.«
Der andere trägt einen einteiligen Schutzanzug mit hochgeschlagenem Kragen. Neben ihm steht auf dem Navigationstisch eine flache Kiste, die etwa so groß ist wie der Verstärker einer Stereoanlage. Aus den Seiten der Kiste ragen zwei dünne Teleskopantennen. Daneben steht eine Frau, im gleichen Anzug wie der Mann. Auf diesem Arbeitsanzug und bei ihrer Konzentration wirken die langen, dunklen, gebürsteten Haare, die locker über ihren hochgestellten Kragen fließen und sich den Rücken entlangringeln, irgendwie fehl am Platze. Das ist Katja Claussen. Instinktiv weiß ich, daß der Mann Seidenfaden ist.
»Eine Minute, zweihundert Meter.«
»Hochholen.«
Die Stimme kommt aus der Gegensprechanlage an der Wand. Ich lockere meinen Griff um die Tischplatte hinter mir. Meine Handflächen schwitzen. Die Stimme habe ich schon mal gehört. Am Telefon, in meiner Wohnung. Das letzte Mal, als ich da war.
Die rote Lampe wird ausgeschaltet. Aus der Nacht wächst eine graue Kontur, die aus dem vorderen Laderaum steigt und langsam und schaukelnd über die Schiffsseite hinausschwingt.
»Zehn Sekunden.«
»Verlaine. Senken.«
Er muß in dem geschlossenen Ausguck oben im Vordermast sitzen. Wir hören seine Befehle an das Deck.
»Steif anziehen. Jetzt fieren.«
»Fünf Sekunden. Vier, drei, zwei, eins, null.«
Ein Lichtstrahl bohrt einen Tunnel in die Nacht, nach hinten. Der Container liegt im Wasser, fünf Meter vom Achtersteven entfernt. Anscheinend reitet er auf der Bugwelle. Von seiner rechten Ecke führt eine blaue Trosse an der Schiffsseite nach vorn. An der Reling stehen Maria und Fernanda, Hansen und die Decksjungen. Mit einem Ding, das aussieht wie ein langer Bootshaken, halten sie den Container vom Schiffsrumpf weg. In dem Licht sehe ich, daß an seinen Seiten zwei schmale, weiße, aufblasbare Gummileisten sitzen.
»Verlaine. Loslassen.«
Ich ziehe mich zur Nock hin zurück. Das Licht kommt von einem der Scheinwerfer, die an der Reling montiert sind. Sonne bedient ihn. Mit dem Lichtkegel sucht er das Wasser ab. Der Container ist von der Trosse los und inzwischen bereits vierzig Meter achteraus, er sinkt.
Ein scharfer Knall. Die fünf Glasfaserkapseln an der Wasseroberfläche sind abgeworfen, und über der großen Metallkiste breiten sich wie fünf große Seerosen fünf graue, sich automatisch aufblasende Schwimmballons auf. Dann geht der Scheinwerfer aus.
»Ein Meter. 2.000 Liter.«
Das ist die Stimme der Frau.
»3.000. 4.000. Zwei Meter. 5.000 Liter. Zwei Meter. Zweieinhalb. Zwei dreißig. 5.000 Liter und zwei dreißig.«
Ich stelle mich neben das Tablett. An meinen Platz. Auf dem Instrument vor ihr glühen jetzt mehrere rote Displays.
»Ich fiere. 4.700 und zweieinhalb. Drei, drei zwanzig, vier, viereinhalb, fünf. 5.700 Liter und fünf Meter. Krängung null. Temperatur minus ein halbes
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