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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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vielleicht mehr. Sie bewegen sich langsam und untersuchen den Raum. Diskret, jedoch ohne sich Mühe zu geben, leise zu sein.
    Ich lege die Taschenlampe auf dem Deck ab. Ich warte darauf, daß die Kronos in einer hohen See giert. Als das passiert, knipse ich die Lampe an und lasse sie los. Sie rollt nach Steuerbord hinüber, während ihr Schein über die Säulen flackert.
    Ich laufe los, ganz an der Seite.
    Es lenkt sie nicht ab. Vor mir ist etwas, das sich anfühlt wie ein Vorhang. Ich will ihn zur Seite schlagen, aber er legt sich um mich. Dann kommt noch einer angeflogen, um den Oberkörper und das Gesicht, und ich schreie, doch der Ton wird durch den dicken Stoff gedämpft und nur zu einem Schrei in meinen Ohren und einem Geschmack nach Staub und Stoff in meinem Mund. Sie haben Branddecken um mich gewickelt.
    Es hat keine Gewalt gegeben, das Ganze war behutsam und undramatisch.
    Sie legen mich hin, der Druck auf die Decken verstärkt sich, dann ein neuer Geruch. Nach Moder und Jute. Ober die Decken haben sie vom Kopf her einen der Säcke gezogen, die ich im Laderaum in Massen gesehen habe.
    Ich werde, immer noch rücksichtsvoll, hochgehoben und liege auf den Schultern von zwei Männern, sie tragen mich über das Deck, und irrational und eitel kommt mir der Gedanke, daß ich jetzt eine lächerliche Figur abgeben muß.
    Eine Luke öffnet und schließt sich. Die Treppe hinunter halten sie mich ausgestreckt zwischen sich. Die Blindheit führt zu einem verstärkten Körperbewußtsein, doch nicht ein einziges Mal stoße ich an die Stufen an. Wären da nicht die Verpackung und die Umstände gewesen, hätte das Ganze ein Krankentransport sein können.
    Ein gedämpfter und zugleich naher Lärm sagt mir, daß wir vor der Tür zum Maschinenraum warten. Die Tür wird geöffnet, wir kommen durch den Maschinenraum, und das Geräusch erstirbt wieder. Die Entfernung und die Zeit strecken sich. Ich habe das Gefühl, daß wir eine Ewigkeit gegangen sind, als sie den ersten Schritt nach oben machen. In Wirklichkeit kann es nur die fünfundzwanzig Meter bis zur vorderen Treppe gedauert haben.
    Jetzt habe ich nur noch eine Schulter unter mir. Ich versuche die Arme freizukriegen.
    Behutsam werde ich auf dem Fußboden abgesetzt, irgendwo in meinem Kopf ist eine leichte metallische Vibration.
    Jetzt weiß ich, wohin wir gehen. Die Tür, die geöffnet wurde, führt nirgendwohin, sondern endet auf der Plattform, auf der Jakkelsen und ich gestanden haben, zwölf Meter über dem Boden.
    Ich weiß nicht, wieso, aber ich weiß, daß sie mich von der Plattform auf den Tankboden hinunterstürzen wollen.
    Sie haben mich in Sitzstellung gebracht. Dadurch bildet der Stoff eine Falte und löst sich so weit, daß ich meinen linken Arm über die Brust hochziehen kann. In der Hand habe ich den Schraubenzieher.
    Als ich vom Boden gehoben werde, liegt meine Brust an einer anderen. Ich versuche mich an die Stelle heranzutasten, wo die Rippe aufhört, zittere aber zu stark. Außerdem sitzt der Korken immer noch auf dem Schraubenzieher.
    Ich werde gegen das Geländer gelehnt, und jemand kniet vor mir nieder wie eine Mutter, die ihr Kind hochheben will.
    Ich bin sicher, daß ich sterben werde. Verschiebe den Gedanken jedoch. Ich will diese Demütigung nicht akzeptieren. Die Art und Weise, wie sie das alles berechnet haben müssen, hat etwas Entwürdigendes. Es war zu einfach für sie, und jetzt hänge ich hier, Smilla, die Bauchlandegrönländerin.
    Als sich eine Schulter unter mich schiebt, kriege ich den Schraubenzieher in die rechte Hand, und als ich langsam hochgehoben werde und er sich aufrichtet, führe ich ihn zum Mund, beiße in den Korken und bekomme ihn los. Ich werde eine Vierteldrehung gerollt, damit ich von der Kante wegkomme. Mit den Fingern der linken Hand finde ich die Schulter, ich kann nicht bis zum Hals vordringen. Doch ich spüre das Schlüsselbein, und zwischen diesem und dem Trapezius die weiche, dreieckige Höhlung, wo die Nerven unter einer dünnen Schicht Haut und Bindegewebe bloßliegen. Dort lege ich den Schraubenzieher an. Er geht durch den Stoff. Dann spüre ich ein Innehalten und den überraschend elastischen Widerstand und die Solidität der lebenden Zellen. Ich führe die Handflächen zusammen und mache meinen Körper mit einem Ruck frei, so daß mein ganzes Gewicht auf dem Griff liegt. Der Schraubenzieher geht glatt durch.
    Er gibt keinen Ton von sich. Doch alle Bewegung hört abrupt auf, einen Augenblick lang schwanken wir

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