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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Souveränität hinweg alle eines gemeinsam haben, nämlich daß wir uns über das Essen hermachen.
    Auf seinem Teller hat er eine Portion Pasta, die so groß ist, daß man davon noch etwas anbieten könnte. Er sieht mich traurig an, als ich ablehne.
    »Sie sind z' dünn, Fräulein.«
    Er reibt ein großes Stück Parmesankäse, die trockenen, goldenen Krümel rieseln über die Pasta wie feiner Schnee.
    » Sie sind a Hungerkünschtleri.«
    Er hat seine selbstgebackenen Baguettes längs durchgeschnitten und sie in Butter und Knoblauch geröstet. Er stopft sich immer zehn Zentimeter auf einmal in den Mund und mahlt langsam und genüßlich.
    »Urs«, sage ich, »wie bist du an Bord gekommen?«
    Ich bringe es nicht fertig, ihn zu siezen.
    Sein Kauen stockt.
    »Verlaine het gsait, Sie siget vo dr Polizei.«
    Er wägt mein Schweigen.
    »I bi im Gefängnis gsi. Zwei Jahr. I dr Schwiz.«
    Das erklärt seine Hautfarbe. Gefängnisblässe.
    »I bi mit dem Auto in Marokko unterwegs gsi. I ha denkt, nimmsch zwei Kilo mit, denn hesch gnuag für zwei Jahr. A dr italienischa Grenza hend sie mi aghalta. Stichprobenkontrolle. I ha drei Jahr griagt. Nach zwei Jahr hent sie mi losgla. Letztschjahr im Oktober.«
    »Wie war das Gefängnis?«
    »Die besti Zit i minam Läba. Kai Stress. Nur Rua. I ha freiwillig Chuchidienscht gmacht. Wega dem han i Strafermäßigung griagt.«
    »Und die Kronos?«
    Noch einmal wägt er meine Absichten ab.
    »I ha Militärdienscht gmacht. I dr Schwizer Marine.«
    Ich schaue ihn an und versuche zu sehen, ob das vielleicht ein Spaß sein soll, aber er winkt abwehrend ab.
    »Nei, nei, bi de Pontoniers. I bi Choch gsi. An Kolleg het Be-ziehiga kha in Hamburg. Er het die Kronos vorgschlaga. I ha mini Lehrzit zum Teil in Dänemark, in Tondern, gmacht. Das isch schwer gsi. Ma findet kai Arbet, we ma im Gefängnis gsi isch.«
    »Und wer hat dich eingestellt?«
    Er antwortet mir nicht.
    »Wer ist Tørk?«
    Er zuckt die Achseln.
    »I ha ne numma eimal gse. Er isch immer uf am Bootsdeck. Seidenfaden und die Frau, dia gönd überall uma.«
    »Was soll diese Fahrt?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »I bi Choch. Es isch unmöglich gsi, Arbet z'finda. Sie hend kai Ahnig, Fräulein Smilla . . .«
    »Ich will die Kühlräume und die Magazine sehen.«
    In seinem Gesicht steht die Furcht.
    »Aber Verlaine het mer gsait, die Jaspersen will . . .«
    Ich lehne mich über den Tisch. Dadurch drücke ich ihn von der Pasta weg, weg von unserem gegenseitigen Verständnis von zuvor, von seinem Zutrauen zu mir.
    »Die Kronos ist ein Schmugglerschiff.«
    Jetzt wird er panisch.
    »Aber i bi kai Schmuggler. I chöntis nit erträga non amal ins Gfängnis z'müssa.«
    »War das nicht die beste Zeit deines Lebens?«
    »Aber es isch gnuag gsi.«
    Er packt mich am Arm.
    »I will nit zrugg. Bitte, bitte nai. Wenn dia üs ufbringat, müand Sie däna säga, daß i uschuldig bin, daß i nüt gwüst han.«
    »Ich will sehen, was ich tun kann«, antworte ich.
     
    Die Proviantmagazine liegen unter der Kombüse. Sie bestehen aus einem Kühlraum für Fleisch, einem für Eier und Fisch, einem doppelten Kühlraum mit plus zwei Grad Celsius für andere leicht verderbliche Waren, sowie verschiedenen Schränken. Das Ganze ist gefüllt, sauber, ordentlich, funktionell und viel zu offensichtlich dauernd in Gebrauch, als daß man hier irgend etwas hätte verstecken können. Urs zeigt sie mir mit fachlichem Stolz und ebensoviel Angst. In zehn Minuten hat man einen Überblick. Ich muß in meinem Zeitplan bleiben. Ich gehe in die Wäscherei zurück. Schleudere die Wäsche. Lege sie in den Trockner und drehe den Knopf auf Start zurück. Danach stehle ich mich wieder hinaus. Und gehe nach unten.
     
    Ich weiß nichts über Motoren. Und ich habe obendrein auch nicht vor, etwas darüber zu lernen.
    Als ich fünf Jahre alt war, war die Welt unüberschaubar. Als ich dreizehn war, erschien sie mir viel kleiner, sehr viel dreckiger und deprimierend vorhersagbar. Jetzt ist sie immer noch trübe, aber – wenn auch anders – genauso komplex wie in meiner Kindheit.
    Mit dem Alter habe ich mich freiwillig für gewisse Begrenzungen entschieden. Ich bringe es nicht mehr, noch einmal von vorn anzufangen. Ein neues Handwerk zu lernen. Gegen meine eigene Persönlichkeit anzugehen. Mich mit einem Dieselmotor vertraut zu machen.
    Ich halte mich an Jakkelsens beiläufige Bemerkungen. »Smilla«, sagt er, als ich ihn am Vormittag in der Wäscherei überrasche. Er sitzt mit dem Rücken an

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