Peter Hoeg
aufgehalten. Warum sind Sie nicht klitschnaß?«
Meine Gefühle von vorhin sind verschwunden. Durch das Fieber hindurch spüre ich nur, daß mich nun noch eine Machtperson quält. Ich sehe ihm in die Augen.
»Das meiste, was ich erlebe, perlt an mir ab.«
8
Heißes Wasser wirkt lindernd. Ich, die ich mit milchigweißen eisgekühlten Schmelzwasserbädern aufgewachsen bin, bin von heißem Wasser abhängig geworden. Eine der wenigen Abhängigkeiten, zu denen ich mich bekenne. Wie zu dem Bedürfnis, ab und zu einen Kaffee zu trinken und ab und zu auf dem Eis die Sonne scheinen zu sehen.
Das Wasser, das aus den Hähnen der Kronos kommt, ist kochend heiß. Ich mische es mit kaltem bis auf eine Temperatur kurz vor dem Verbrühen und lasse es auf mich herunterprasseln. Es läßt aus Hinterkopf und Rücken, an den Blutergüssen über dem Unterleib und am schmerzhaftesten aus dem Fuß, der immer noch geschwollen und verstaucht ist, Flammen schlagen. Fieber und Zittern nehmen zu, aber ich bleibe trotzdem stehen, und dann verschwindet alles, und es bleibt nur noch eine große Mattigkeit. In der Kombüse hole ich mir eine Thermoskanne Tee und nehme sie mit in die Kajüte. Ich setze sie im Dunkeln ab, verschließe die Tür, atme tief durch und mache das Licht an.
Auf meinem Bett sitzt Jakkelsen in einem weißen Trainingsanzug und mit Pupillen, die hinten in seinem Gehirn verschwunden sind und einen quarzartigen Blick künstlichen Selbstvertrauens zurückgelassen haben.
»Dir ist doch wohl klar, daß ich dich gerettet habe, verstehste?«
Ich warte darauf, daß der Schreck mir aus den Gliedern fährt, damit ich mich hinsetzen kann.
»Die Welt der See, sage ich mir, ist zu hart für Smilla. Ich setze mich also in den Maschinenraum und warte. Wenn man dich sucht, braucht man bloß nach unten zu gehen. Auf deinem Weg nach unten kommst du früher oder später mit Sicherheit hier vorbei. Gleich nach dir kommen Verlaine, Hansen und Maurice. Aber ich bleibe sitzen. Weil ich die Tür zum Deck abgeschlossen habe. Ihr müßt diesen Weg zurückkommen.«
Ich rühre in meinem Tee. Der Löffel klirrt gegen die Tasse.
»Als sie mit dir in einem Sack zurückkommen, sitze ich immer noch da. Ich kenne ihr Problem. Daß man den Kombüsenabfall und die, die man nicht leiden kann, über Bord kippt, das ist letztes Jahrhundert. Auf der Brücke sind sie immer zu zweit, und das Deck ist erleuchtet. Wenn jemand etwas über die Reling fallen läßt, das größer ist als ein Streichholz, kriegt er Schwierigkeiten und eine Verhandlung vor dem Seeamt an den Hals. Wir würden Godthåb anlaufen, und überall würden wie die Ameisen kleine krummbeinige Grönländer in Uniform herumwimmeln.«
Ihm fällt ein, daß er gerade mit einer der kleinen, krummbeinigen Ameisen spricht.
»Entschuldigung«, sagt er.
Irgendwo schlägt eine Uhr vier Doppelschläge, vier Glas, das Maß der Zeit auf dem Meer, eine Zeit, die den Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht kennt, sondern nur von dem monotonen Wechsel der Vierstundenwachen weiß. Diese Schläge verstärken das Gefühl der Unverrückbarkeit, das Gefühl, daß wir nie abgefahren sind, sondern unbeweglich in Zeit und Raum stehen und uns nur tiefer in die Sinnlosigkeit hineingeschraubt haben.
»Hansen bleibt an der Luke zum Maschinenraum stehen. Ich schlendere also auf das Deck hoch und vor zur Backbordtreppe. Als Verlaine hochkommt, ist klar, worauf das Ganze hinausläuft. Verlaine als Wache an Deck, Hansen an der Luke. Und Maurice allein mit dir unten im Schiff. Was hat das zu bedeuten?«
»Vielleicht, daß Maurice einen Schnellfick wollte.«
Er nickt nachdenklich.
»Da ist was dran. Aber der will junge Mädchen. Das Interesse für reife Frauen kommt erst mit der Erfahrung. Ich weiß, daß sie dich in den Laderaum fallen lassen wollen. Gut gedacht, Mann! Das geht zwölf Meter runter. Und wird aussehen, als seist du von selber gefallen. Hinterher müßte man nur den Sack wegnehmen. Deswegen haben sie dich so vorsichtig getragen. Damit du keine Flecken kriegst.«
Er strahlt mich an. Froh darüber, daß er ihnen auf die Schliche gekommen ist.
»Ich gehe also zum Zwischendeck runter und zur Treppe. Zwischen den Stufen durch sehe ich, wie Maurice dich durch die Tür bugsiert. Er schnauft nicht mal. Ist aber auch jeden Tag im Gymnastikraum. Expander und fünfundzwanzig Kilometer auf dem Fahrrad. Jetzt muß ich mich entscheiden. Du hast ja nie etwas für mich getan, oder? Du hast mich sogar direkt
Weitere Kostenlose Bücher