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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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zusammen. Ich warte darauf, daß ich losgelassen werde, ich bin bereits gespannt auf die Kollision mit dem Rost in der Dunkelheit unter mir. Da läßt er mich auf die Plattform fallen, und ich knalle mit dem Kopf gegen das Geländer. Der Schwindel breitet sich aus, nimmt zu und verschwindet wieder. Der Sack und die Wolldecken haben den Kopf so weit geschützt, daß ich bei Bewußtsein bleibe.
    Da landet ein Rammbock in meinem Bauch. Er tritt mich.
    Zuerst spüre ich den Drang, mich zu übergeben. Da der Schmerz jedoch immer wiederkehrt, kann ich zwischen den einzelnen Tritten keine Luft holen. Ich ersticke fast und ärgere mich, daß ich nicht näher an den Hals herangekommen bin.
    Das nächste, was ich wahrnehme, ist ein Schreien. Ich glaube, daß er es ist, der schreit. Jemand packt mich an den Schultern, und ich denke, jetzt habe ich mein irdisches Glück und alle meine Reserven aufgebraucht, jetzt will ich in Frieden sterben.
    Doch es ist nicht er, der schreit, es ist ein elektronisches Kreischen, die Sinuskurve eines Tongenerators. Ich werde die Treppe hochgezogen. Jede Stufe knallt in mein Kreuz. Langsam dringt Kälte in mich ein, zusammen mit dem Geräusch des fallenden Regens. Dann wird eine Luke zugeschlagen, und ich werde losgelassen. Neben mir hustet sich ein Tier die Lunge aus dem Leib.
    Ich würge mir den Sack vom Kopf. Ich muß hin und her rollen, um mich aus den Decken zu befreien.
    Ich komme in einen kalten, stürzenden Regen, in das elektronische Kreischen und blendendes elektrisches Licht hinaus, neben mir das röchelnde Gejapse.
    Es ist kein Tier. Es ist Jakkelsen. Klitschnaß und weiß wie Kreide. Wir befinden uns in einem Raum, den ich nicht gleich identifizieren kann. Über unseren Köpfen schickt die Sprinkleranlage wild rotierende Wasserkaskaden auf uns herunter. Das Rauchmeldealarmsignal steigt und fällt, monoton und nervenaufreibend.
    »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich habe die Zigarre angezündet und den Mund an den Sensor gehalten. Dann ist der ganze Mist losgegangen.«
    Ich versuche ihn etwas zu fragen, kriege aber keinen Ton heraus. Er errät die Frage.
    »Maurice«, sagt er. »Der ist fertig. Hat mich nicht mal gesehen.«
    Über unseren Köpfen rennen irgendwo Schritte. Sie kommen die Treppe herunter.
    Ich bin außerstande, mich zu bewegen. Jakkelsen kommt auf die Beine. Er hat mich eine Etage hochgeschleppt. Wir müssen uns auf der Zwischenetage unter dem Vordeck befinden. Die Anstrengung hat ihn umgehauen.
    »Ich bin schlecht in Form«, sagt er.
    Dann stolpert er in die Dunkelheit.
    Die Tür wird aufgerissen. Sonne tritt ein. Ich brauche einen Augenblick, bis ich ihn erkenne. Er trägt einen großen Schaumlöscher, einen Feuerwehranzug und auf dem Rücken eine Sauerstoffflasche. Hinter ihm stehen Maria und Fernanda.
    Während wir uns noch ansehen, hört der Alarm auf, der Wasserdruck in der Löschanlage läßt allmählich nach und pendelt sich schließlich ein. Zwischen das Fallen der Tropfen von Wänden und Decken und die rieselnden Wasserbäche auf dem Fußboden dringt das ferne Geräusch der Wellen, die sich am Steven der Kronos brechen.

7
    Verliebtheiten werden maßlos überschätzt. Verliebtheiten bestehen zu fünfundvierzig Prozent aus der Furcht davor, nicht akzeptiert zu werden, zu fünfundvierzig Prozent aus der manischen Hoffnung, daß diese Furcht ausgerechnet diesmal beschämt wird, und zu bescheidenen zehn Prozent aus dem zerbrechlichen Gefühl für die Möglichkeit der Liebe.
    Ich verliebe mich nicht mehr. So wie mich auch der Frühjahrskoller nicht erwischt.
    Aber man kann natürlich von der Liebe überfallen werden. In den letzten Wochen habe ich mir jede Nacht gestattet, einige wenige Minuten an ihn zu denken. Ich gebe dem Bewußtsein die Erlaubnis und sehe dann, wie sich der Körper sehnt, wie ich mich noch an ihn erinnere, bevor ich ihn wirklich wahrnahm. Ich sehe seine Sorgfalt, erinnere mich an seine Stimme, seine Umarmungen, das Erlebnis des massiven Persönlichkeitskerns. Wenn die Bilder vor Sehnsucht zu stark aufleuchten, unterbreche ich sie. Jedenfalls versuche ich es.
    Das ist keine Verliebtheit. Dafür sehe ich zu klar. Verliebtheit ist eine Art Irrsinn. Eng verwandt mit dem Haß, mit der Kälte, mit dem Groll, dem Rausch, dem Selbstmord.
    Es geschieht – äußerst selten, aber es geschieht schon mal –, daß ich an die Verliebtheiten meines Lebens erinnert werde. Zum Beispiel jetzt.
    Mir gegenüber sitzt am Tisch der Offiziersmesse der Mann,

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