Peter Hoeg
Maschine unter uns. Hinter dem Schott muß der Schornstein sein. Um dessen großen rechteckigen Kasten herum diese Etage gebaut ist.
Links von mir sehe ich in Fußbodenhöhe ein schwaches Licht. Das Nachtlicht auf der Treppe. Diese Tür zu dieser Treppe ist mein Rück- und Ausweg.
Rechts von mir herrscht zunächst Stille. Dann wachsen aus der Stille Atemzüge. Sie sind sehr viel leiser als die übrigen Schiffsgeräusche. Doch nach sechs Tagen an Bord sind die täglichen Geräusche zu einem diskreten Hintergrund geworden, vor dem alle Abweichungen deutlich hervortreten. Selbst das leichte Schnarchen einer schlafenden Frau.
Das bedeutet, daß es hier an der Backbordseite eine Kajüte gibt, möglicherweise auch zwei, und daß gegenüber auch eine oder zwei liegen. Und das heißt, daß Salon und Messe zum Vorderdeck hinausgehen. Ich bleibe sitzen. Nach einiger Zeit gurgelt irgendwo ein Rohr. Die Kronos hat Toiletten mit Hochdruckspülung. Irgendwo unter oder über uns hat jemand die Toilettenspülung betätigt. Die Bewegung in den Rohren sagt mir, daß Bad und Toilette dieser Etage vor dem Schornstein liegen und daran angebaut sind.
Ich habe den Wecker in die Schürzentasche gesteckt. Was hätte ich sonst tun sollen? Ich werfe einen Blick darauf, und dann mache ich mich auf.
Das Schloß der Tür nach draußen ist ein Schnappschloß. Ich lasse es einschnappen. Damit ich selber schnell raus kann. Vor allem aber, damit man von draußen hereinkommt.
Zwischen dem kurzen Flur zum Ausgang und dem vermutlichen Salon ist eine Tür. Ich taste mich heran, lege das Ohr an die Tür und warte. Alles, was ich höre, ist eine ferne Schiffsuhr, die Glasen schlägt. Die Tür öffnet sich in eine Dunkelheit, die tiefer ist als die, aus der ich komme. Auch hier warte ich zuerst. Dann knipse ich das Licht an. Es ist kein gewöhnliches Licht. Es sind Hunderte von Aquariumlampen über Hunderten sehr kleiner, geschlossener Aquarien in Gummifassungen, die in Gestellen drei ganze Wände bedecken. In den Aquarien sind Fische. Mehr und unterschiedlichere Fische als in einem Aquariengeschäft.
An der einen Wand hat man einen schwarzgebeizten Tisch mit zwei großen flachen Porzellanwaschbecken und Mischbatterien mit Ellbogenbedienung angebracht. Auf dem Tisch stehen zwei Gasflammen und zwei Bunsenbrenner, alle mit festen Kupferrohrverbindungen zum Gashahn. An einem Seitentisch ist ein Autoklav festgeschraubt. Eine Mettlerwaage. Ein pH-Messer. Eine große, auf einem Ständer aufmontierte Balgenkamera. Ein bifokales Mikroskop.
Unter dem Tisch ein Metallregal mit kleinen, tiefen Kästen. Ich öffne ein paar davon. In Pappkartons aus Struers chemischem Laboratorium liegen Pipetten, Gummischläuche, Pfropfen, Glasspachtel und Lackmuspapier. Chemikalien in kleinen Glaskolben. Magnesium, Kaliumpermanganat, Eisenfeilspäne, Schwefelpulver, Kupfersulfatkristalle. An der Wand stehen in mit Stroh und Wellpappe ausgefütterten Holzkisten kleine Säureballons. Flußsäure, Salzsäure, Essigsäure in unterschiedlicher Konzentration.
Auf dem gegenüberliegenden Tisch feste Kunststofftabletts, Entwicklerflüssigkeit und ein Vergrößerungsapparat. Ich verstehe nichts. Die Einrichtung des Raums ist eine Mischung aus dänischem Nationalaquarium und Chemielabor.
Der Salon hat Doppeltüren mit Füllungen. Eine Erinnerung daran, daß die Kronos in den vornehmen fünfziger Jahren gebaut wurde, als diese Vornehmheit ihre Rolle bereits ausgespielt hatte. Der Raum liegt direkt unter der Navigationsbrücke und hat die Größe eines niedrigen dänischen Wohnzimmers. Sechs große Fenster gehen zum Vorderdeck hinaus. Sie sind alle vereist, und durch das Eis dringt ein schwaches blaugraues Licht.
An Backbord sind ungekennzeichnete Holzkisten und Pappkartons gestapelt, die von einer zwischen zwei Heizkörpern gespannten Flaggenleine gehalten werden.
In der Mitte des Raumes hat man einen Tisch festgeschraubt, in den Vertiefungen der Tischplatte stehen mehrere Thermosflaschen. An zwei Wänden ziehen sich lange Arbeitstische mit Luxolampen entlang. Ein kleines Fotokopiergerät ist mit dem Schott verschraubt. Daneben ein Telefax. Bücher füllen einen Oberschrank.
Auf dem Weg zum Regal sehe ich die Seekarte. Sie ist unter eine entspiegelte Plexiglasplatte gelegt worden, deshalb habe ich sie erst jetzt gesehen. Ich knipse meine Lampe an.
Der Randtext ist weggeschnitten worden, es dauert einige Augenblicke, bis ich die Karte identifizieren kann. Auf Seekarten ist das
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