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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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mein Rücken tut zu weh. Ich kriege nur seinen Kopf hoch.
    »Du hast Kützow übersehen«, sage ich.
    Ein wollüstiges kleines Lächeln legt sich um seine Lippen.
    »Smilla. Ich wußte, daß du zurückkommen würdest.«
    Ich bringe ihn auf die Beine. Danach stecke ich seinen Kopf ins Waschbecken und drehe den Kaltwasserhahn auf. Als er sich wieder aufrecht halten kann, ziehe ich ihn zur Treppe.
    Wir sind gerade fünf Stufen weit, als hinter uns Kützow durch die Tür kommt.
    Mit Sicherheit meint er, er schleiche auf Katzenpfoten. In Wirklichkeit hält er sich nur aufrecht, weil er sich an alles hängt, was er zu fassen kriegt. Als er uns sieht, bleibt er abrupt stehen, legt die Hand auf die Tafel mit dem Barometer und starrt mich an.
    Ich habe Jakkelsens schlottrigen Körper an das Geländer gedrückt. Ich selber komme nur mit Mühe vorwärts.
    Der Schock bahnt sich langsam einen Weg durch seinen Rausch, der sich inzwischen um zwei oder drei perlende Riesenflaschen vergrößert haben muß.
    »Jaspersen«, quäkt er. »Jaspersen . . .«
    Ich habe Männer und ihren Alkohol- und sonstigen Mißbrauch so satt. Seit ich in Dänemark bin, geht das so. Die ganze Zeit muß man aufpassen, daß man nicht über Leute stolpert, die sich vergiftet haben und auch noch meinen, sie trügen das mit Würde.
    »Verpiß dich, Herr Maschinenmeister«, sage ich.
    Er starrt mir leer nach.
    Wir begegnen auf unserem Weg nach unten niemandem mehr. Ich schiebe Jakkelsen in seine Kajüte. Er fällt in seiner Koje um wie eine schlottrige Stoffpuppe. Ich drehe ihn auf die Seite. Säuglinge, Alkoholiker und Fixer riskieren, in ihrer eigenen Kotze zu ersticken. Danach schließe ich von außen mit seinem eigenen Schlüssel ab.
    Ich verschließe und verbarrikadiere meine eigene Tür. Es ist 4.15 Uhr. Ich will drei Stunden schlafen, mich danach krank melden und dann noch mal zwölf Stunden schlafen. Alles andere muß warten.
     
    Ich bringe es gerade auf eine Dreiviertelstunde. Durch die ersten Alpträume an der Oberfläche des Schlafs dringt zunächst ein elektronischer Alarm und dann die fordernde Stimme von Lukas.
    Ich arbeite keine zwei Meter von Verlaine entfernt. Er benutzt eine harte Gummikeule, die so lang ist wie eine Waldaxt.
    Am Austrocknen meiner Lippen spüre ich, daß es etwas unter zehn Grad minus hat. Er arbeitet in Hemdsärmeln. Mit der einen Hand hakt er sich an der Reling oder am Schutzgeländer der Radarscanner fest, mit der anderen holt er hinter dem Rücken in einem mitfühlenden zarten Bogen aus und läßt die Keule in einer Explosion, die klingt wie eine zerschmetternde Schaufensterscheibe, auf das Deckshaus knallen. Sein Gesicht ist schweißbedeckt, doch seine Bewegungen sind unermüdlich und mühelos. Jeder Schlag sprengt eine Eisplatte von ungefähr einem Quadratmeter los.
    Es herrscht kein Wind, doch eine kurze, kabbelige See, in der die Kronos schwer stampft. Und dann der Nebel, große, feuchte Flächen aus Weiße in der Dunkelheit.
    Jedesmal, wenn wir durch eine der Nebelwolken fahren, die so niedrig hängen, daß sie den Eindruck machen, als schwömmen sie auf dem Wasser, nimmt die Eisschicht sichtbar zu. Mit der Schaftspitze eines Eispickels kratze ich Eis von den Scannern. Wenn ich fertig bin, kann ich an der Stelle weitermachen, an der ich angefangen habe und auf die sich in weniger als zwei Minuten wieder ein Millimeter hartes, graues Eis gelegt hat.
    Deck und Aufbauten sind lebendig geworden. Nicht durch die kleinen, dunklen Gestalten, die Eis kratzen, sondern durch das Eis selbst. Die volle Deckbeleuchtung ist eingeschaltet. Licht und Eis haben zusammen eine mythologische Landschaft geschaffen. Wanten und Stage sind mit dreißig Zentimeter dicken Eisgirlanden umwunden, die wie glotzende Gesichter vom Mast auf das Deck herunterhängen. Die Ankerlaterne am Stag leuchtet durch ihre Eisverkapselung wie das brennende Gehirn im Kopf eines Fabeltieres. Das Deck ist ein graues, erstarrtes Meer. Alles Aufrechtstehende reckt sich mit fragendem Gesicht und grauen, kalten Gliedern empor.
    Verlaine ist an Steuerbord. Hinter mir ist die Reling und dahinter ein freier Fall von knapp zwanzig Metern bis zum Deck. Vor mir, hinter den Radarsockeln und dem niedrigen Mast mit Antennen, Nebelhorn und einem beweglichen Scheinwerfer für Hafenmanöver, schaufelt Sonne Eis. Die Schollen, die Verlaine losschlägt, wuchtet er über die Seite, wo sie neben dem Rettungsboot auf das Bootsdeck fallen. Dort steht Hansen in gelbem Schutzhelm und

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