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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Festland ein Detail, eine einfache Linie, eine Kontur, die im Ziffernschwarm der Tiefenangaben untergeht. Dann erkenne ich das Vorgebirge gegenüber Sisimiut. Unter die Glasplatte hat man an den Rand der Karte mehrere kleinere Fotokopien von Spezialkarten gelegt. ›Mittlerer Zeitverlauf von der Mondkulmination (oben oder unten) in Greenwich bis zum Eintreten der Flut bei Westgrönland.‹ – ›Übersicht über Oberflächenströmungen w. von Grönland.‹ – ›Überblickskarte über die Abschnittseinteilung im Gebiet Holsteinsborg.‹
    Ganz oben, zum Schott hin, sind auf der Karte drei Fotografien ausgelegt. Zwei davon sind schwarzweiße Luftaufnahmen. Die dritte sieht aus wie ein auf einem Farbdrucker ausgedrucktes fraktales Detail der Mandelbrotmenge. Im Mittelpunkt zeigen sie alle drei dieselbe Kontur. Eine Figur, die sich nahezu kreisförmig um eine Öffnung krümmt. Wie ein Fünfwochenembryo, der sich fischartig um die Kiemenblase zusammenrollt.
    Ich versuche die Karteischränke aufzumachen, doch die sind abgeschlossen, und als ich mir gerade die Bücher anschaue, geht irgendwo auf der Etage eine Tür. Ich mache die Lampe aus und verwachse mit dem Fußboden. Eine zweite Tür wird geöffnet und geschlossen, und es wird still. Doch die Etage wirkt nicht mehr, als ob sie schläft. Irgendwo sind Menschen wach. Ich muß gar nicht auf die Uhr sehen, die Zeit reicht noch, aber meine Nerven ertragen nichts mehr.
    Ich habe bereits die Hand an der Tür zum Ausgang, als jemand die Treppe heraufkommt. Ich ziehe mich rückwärts in den Flur zurück. Ein Schlüssel wird ins Schloß gesteckt. Ein Moment Verwunderung, weil die Tür nicht abgeschlossen ist. Ich stoße die Kombüsentür auf, trete ein und mache sie hinter mir zu. Die Schritte kommen durch den Flur. Vielleicht haben sie etwas Behutsames, Untersuchendes, vielleicht wundert sich jemand darüber, daß die Tür nicht abgeschlossen war, vielleicht wollen sie die Etage durchsuchen. Aber vielleicht höre ich auch nur Gespenster. Ich schiebe mich auf den Küchentisch und in den Aufzug. Ich ziehe die Türen zu, aber sie lassen sich von innen nicht richtig schließen. Die Tür zum Flur geht auf, es wird Licht gemacht. Direkt vor dem Spalt, den ich nicht habe schließen können, steht mitten im Raum Seidenfaden. Im Mantel, noch windzerzaust von einem Deckspaziergang. Er geht zum Kühlschrank und verschwindet aus meinem Blickfeld. Ein Zischen von Kohlensäure, und er kommt wieder zum Vorschein. Er trinkt im Stehen ein Bier, direkt aus der Dose.
    Als sein Gesicht genießerisch in sich gekehrt und zugleich einem Hustenanfall nahe ist, sind seine Augen auf mich gerichtet, ohne mich zu sehen. In dem Moment summt der Aufzug, laut und klirrend.
    Ich habe keinen Platz, um zusammenzuzucken. Ich kann nur den Schraubenzieher aus dem Korken ziehen und mich darauf vorbereiten, in zwei Sekunden entdeckt zu werden.
    Der Aufzug sinkt.
    Über mir in der Dunkelheit werden die Aufzugtüren zur Seite geschoben. Aber ich bin bereits weg, ich bin auf dem Weg nach unten.
    Ich bete, daß es Jakkelsen ist, der sich meinem Verbot widersetzt hat, vielleicht im Schacht eine Bewegung gespürt und mich nach unten geholt hat. Ich hoffe, daß es dunkel ist, wenn die Tür aufgeht. Und daß ich mich auf Jakkelsens zitternde Hände stützen kann, wenn ich herauskrieche.
    Als der Aufzug stehenbleibt, wird die Tür vorsichtig zur Seite gezogen. Draußen ist es dunkel.
    Etwas Kaltes und Nasses preßt sich an meine Schenkel. Etwas legt sich in meinen Schoß. Etwas wird unter meine Kniekehlen geschoben. Danach wird die Tür zugeschoben, der Aufzug summt, ein Motor schaltet sich ein, ich steige wieder nach oben.
    Ich wechsele den Schraubenzieher in die linke Hand und packe mit der Rechten die Lampe. Einen Moment lang blendet sie, dann kann ich sehen.
    Fünf Zentimeter vor meinen Augen und an meinem Körper erhebt sich aufrecht, tauperlend kalt und naß eine Riesenflasche der Marke Moet & Chandon 1986 brut Imperial Rosé. Rosa Champagner. In meinem Schoß liegt ein Champagnerglas. Unter meinen Kniekehlen sehe ich den gewölbten Boden einer weiteren Flasche.
    Ich bin mir absolut sicher, daß ich mich, wenn die Luke aufgeht, in Licht gebadet Auge in Auge mit Seidenfaden wiederfinden werde. Doch ich zähle zwei kleine Stöße und weiß, daß ich am Bootsdeck vorbei bin. Ich bin auf dem Weg zur Brücke, zur Offiziersmesse.
    Nach einer Stockung plötzlich ereignislose Stille. Ich versuche die Schiebetüren

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