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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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aufzukriegen. Wegen der Flaschen ist das fast nicht möglich. Irgendwo öffnet und schließt sich eine Tür. Dann wird ein Streichholz angezündet. Ich zerre die Türen einen Zentimeter auseinander. Die Kerze steht in einem Halter auf dem großen Eßtisch, an dem ich vor ein paar Tagen bedient habe. Jetzt wird er aufgehoben und in meine Richtung getragen. Die Türen gleiten zur Seite. Ich habe eine Hand an der Wand hinter mir, um so viel Kraft wie möglich in den Stoß legen zu können. Ich erwarte Tørk oder Verlaine. Ich werde auf die Augen zielen. Das Licht blendet mich, weil es so dicht vor mir steht. Zu sehen ist nur ein dunkler Umriß. Der erst die eine, danach die andere Flasche herausholt. Als das Glas herausgenommen wird, tastet eine Hand einen Moment lang über meine Hüfte.
    Aus dem Raum dringt ein erstickter Laut des Erstaunens.
    Ein Gesicht senkt sich zu mir herab: Kützows Gesicht. Wir sehen einander in die Augen. Seine quellen heute nacht hervor, als hätte er gerade einen Basedowanfall gehabt. Aber er ist nicht im üblichen Sinne krank. Er ist vollkommen blau.
    »Jaspersen!« entfährt es ihm.
    Dann sehen wir plötzlich beide den Schraubenzieher. Er zielt auf eine Stelle zwischen seinen Augen.
    »Jaspersen«, wiederholt er.
    »Eine kleinere Reparatur«, sage ich.
    Jedes Wort ist anstrengend, weil die zusammengekrümmte Haltung das Atmen belastet.
    »Hier an Bord sorge ich für Reparaturen, ich!«
    Seine Stimme klingt gewichtig, aber belegt. Ich strecke den Kopf durch die Klappe.
    »Ich sehe, daß du auch für den Weinvorrat sorgst. Das wird Urs und den Kapitän interessieren.«
    Er wird rot, es ist ein langsamer, aber weitgehender Farbenwechsel zum Violetten hin.
    »Ich kann alles erklären.«
    In zehn Sekunden wird er anfangen zu denken. Ich kriege einen Arm raus.
    »Ich habe keine Zeit«, sage ich. »Ich muß mit meiner Arbeit weitermachen.«
    In diesem Moment fährt der Aufzug nach unten. Im letzten Augenblick ziehe ich den Oberkörper zurück. Spüre gerade noch einen Stich heller Wut darüber, daß es keine Sicherheitsvorrichtung gibt, die ihn am Fahren hindert, wenn die Türen nicht geschlossen sind.
    In Gedanken durchlebe ich die totale Entdeckung, die Konfrontation und schließlich die Katastrophe. Als wir die Kombüse erreichen, ist mein Vorstellungsvermögen aufgebraucht. Aber der Aufzug hält nicht an. Er setzt seinen Fall nach unten fort.
    Dann bremst er. Die letzten Sekunden haben meine letzten Kräfte ausgelaugt. Jetzt habe ich nur noch das Überraschungsmoment auf meiner Seite. Ich drücke die Türen auf und reiße sie auseinander. Sie fliegen krachend zurück. Mir entgegen schwebt ein Sack mit der Aufschrift ›50 kg Vildmose. Dänische Schiffsausrüstung‹. Ich drehe beide Beine heraus, stemme sie gegen den Sack und stoße zu. Seine Bewegung stoppt, er schaukelt zurück und stürzt in die entfernteste Ecke. Er landet in den Pappkartons mit der Aufschrift ›Wiuffs Lammefjordsmohrrüben‹.
    Auf dem Fußboden finde ich mein Gleichgewicht wieder. Ich habe zwar nicht das Gefühl, Beine zu haben, aber ich habe den Schraubenzieher.
    Hinter dem Sack erscheint Urs.
    Mir fallt nichts ein. Als ich aus der Tür stakse, liegt er immer noch auf den Knien.
    »Bitte, Fräulein Smilla, bitte . . .«
    Unbewußt muß ich einen Alarm erwartet haben. Bewaffnete, die auf mich warten. Aber die Kronos ist in vollkommene Dunkelheit gehüllt. Ich komme durch drei Decks, ohne jemandem zu begegnen.
    Die Treppe unterhalb der Brücke ist leer. Jakkelsen ist nirgendwo zu sehen. Aufs Geratewohl betrete ich durch die Tür mit der Aufschrift officers' accomodation das Brückendeck und öffne die Tür zur Herrentoilette.
    Er steht am Waschbecken. Er war gerade dabei, sich zu kämmen. Seine Stirn lehnt am Spiegel, als wollte er sichergehen, daß dabei wirklich etwas Nettes herauskommt. Er wollte sich gerade die Locken über die Ohren nach hinten streichen. Aber er schläft. Sein Körper folgt unbewußt und geschmeidig der Krängung des Schiffes und hält sich aufrecht. Aber Jakkelsen schnarcht. Sein Mund steht offen, die Zunge hängt ein Stück heraus.
    Ich stecke die Hand in die Brusttasche seines Arbeitshemds. Kriege den Gummischlauch zu fassen. Er ist auf die Toilette gewitscht und hat sich einen kleinen Fix verpaßt, um sich zu stärken. Dann hat er sich ein bißchen zurechtmachen wollen. Und dann ist er müde geworden.
    Ich trete ihm die Beine weg. Er knallt schwer auf den Boden. Ich will ihn hochziehen, aber

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