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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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fällt mir leichter, mich für die Mathematik zu interessieren, als meine Mitmenschen zu mögen. Aber ich bin im Dasein mit etwas verankert, das fest steht. Man kann das von mir aus Ortssinn nennen oder auch weibliche Intuition, von mir aus kann man es so nennen, wie es einem gerade einfällt. Ich stehe auf einem Fundament, und tiefer kann ich nicht fallen. Schon möglich, daß ich es nicht geschafft habe, mein eigenes Leben sonderlich clever einzurichten. Aber den Absoluten Raum halte ich immer fest – mindestens mit einem Finger.
     
    Deshalb hat es seine Grenzen, wie weit die Welt aus den Fugen geraten kann, wieviel schiefgehen kann, bevor ich es entdecke. Ich weiß jetzt, ohne auch nur den Schimmer eines Zweifels, daß irgend etwas nicht stimmt.
     
    Ich habe keinen Führerschein. Und wenn man anständig angezogen ist, muß man zu viele Parameter im Griff haben, wenn man Fahrrad fahren, den Verkehr überblicken, seine Würde behalten und ein Jägerhütchen von Vagns Geschäft in der Østergade festhalten will. Deshalb laufe ich in der Regel oder nehme den Bus.
    Heute laufe ich. Es ist der 20. Dezember, und es ist kalt und klar. Zuerst gehe ich zur Bibliothek des Geologischen Instituts in der Øster Voldgade.
    Ein Satz gefällt mir wirklich sehr, Dedekinds Postulat von der linearen Komprimierung. Es besagt – in etwa –, daß man an jeder beliebigen Stelle einer Zahlenreihe innerhalb eines jeden beliebigen, verschwindend kleinen Intervalls auf die Unendlichkeit stößt. Als ich am Computer der Bibliothek die Kryolithgesellschaft Dänemark suche, spuckt er mir Lesestoff für ein ganzes Jahr aus.
    Ich entscheide mich für Das weiße Gold . Es erweist sich als ein Buch von schillernder Humorigkeit. Die Arbeiter im Kryolithbruch haben den Schalk im Nacken, die Industrieherren, die den Kies verdienen, haben ihn, das grönländische Reinigungspersonal hat ihn, und die blauen, grönländischen Fjorde sind voller Reflexe und Sonnenstreifen.
    Anschließend gehe ich an der S-Bahn Østerport vorbei und den Strandboulevard entlang. Bis zur Nummer 728, wo die Kryolithgesellschaft Dänemark – neben der Konkurrentin Kryo-lithgesellschaft Öresund – 500 Mitarbeiter, zwei Laborgebäude, die Rohkryolithhalle, die Sortierhalle, die Werkkantine und die Werkstätten hatte. Jetzt sind davon nur noch die Eisenbahngeleise, die Abrißfläche, ein paar Schuppen und Unterstände und eine große rote Backsteinvilla übrig. Von meiner Lektüre her weiß ich, daß die beiden großen Kryolithvorkommen bei Saqqaq in den sechziger Jahren erschöpft waren und die Gesellschaft im Laufe der siebziger Jahre zu anderen Aktivitäten überging.
    Jetzt sind nur noch ein abgesperrtes Gebiet, eine Zufahrtsstraße und eine Gruppe Handwerker in weißen Arbeitsklamotten da. Sie genießen ein stilles Weihnachtsbier und bereiten sich auf das bevorstehende Fest vor.
    Ein ausgeschlafenes und unternehmungslustiges Mädchen würde jetzt zu ihnen hingehen, grüßend an die Mütze tippen, Jargon reden und sie nach Frau Lübing fragen: wer sie war und was aus ihr geworden ist.
    Diese Geradheit liegt mir nicht. Ich spreche Fremde nicht gern an. Dänische Handwerker in Gruppen kann ich nicht leiden. Um ehrlich zu sein, kann ich überhaupt Männer in Gruppen nicht leiden.
    Während ich so weit gedacht habe, bin ich den ganzen Weg um den Block herumgegangen, die Handwerker haben mich gesehen, winken mich zu sich und erweisen sich als gewandte Gentlemen, die schon seit dreißig Jahren hier angestellt sind und jetzt die wehmütige Aufgabe haben, den Laden abzuwickeln. Sie wissen, daß Frau Lübing noch lebt, in Frederiksberg wohnt und im Telefonbuch steht, und warum mich das wohl interessiere?
    »Sie hat mir mal einen Gefallen getan«, sage ich. »Jetzt möchte ich sie nach was fragen.«
    Sie nicken und sagen, Frau Lübing habe vielen einen Gefallen getan und sie hätten selber eine Tochter in meinem Alter, und ich solle doch mal wieder vorbeischauen.
    Ich gehe den Strandboulevard zurück und denke daran, daß es selbst im paranoidesten Argwohn ganz tief verborgen Mitmenschlichkeit und den Wunsch nach Kontakt gibt, die darauf warten, ausgebrütet zu werden.
     
    Niemand, der irgendwann einmal mit Tieren gelebt hat, die Platz haben, kann danach wieder in einen Zoo gehen. Einmal jedoch nehme ich Jesaja ins Zoologische Museum mit, um ihm dort den Raum mit den Seehunden zu zeigen.
    Er findet, daß sie krank aussehen. Aber das Modell des Urochsen beschäftigt ihn. Auf dem

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