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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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kann. Dann hole ich den Saugnapf aus der Tasche und schaue ihn mir an. Ich kann den Stein nicht nach hinten schieben, denn dann würde er in den Hohlraum der doppelschaligen Mauer fallen. Doch als ich die schwarze Gummischeibe an den Stein ansetze und mit dem kleinen Handgriff einen Unterdruck herstelle, kommt mir der Stein ohne großen Widerstand entgegen. Als ich ihn draußen habe, verstehe ich, warum. Auf der Rückseite ist ein kleiner Stahlnagel eingeschlagen und mit einer dünnen Nylonschnur umwickelt. Auf die Nylonschnur und den Nagel hat Jesaja einen dicken Tropfen Araldit aufgetragen, der inzwischen steinhart ist. Die Schnur führt in die Hohlmauer. An ihrem Ende hängt eine flache, mit einem dicken Gummiband umwickelte Zigarrenkiste. Das Ganze ist wie ein Gedicht technischer Findigkeit.
    Ich stecke die Kiste in die Manteltasche. Dann praktiziere ich den Stein wieder zurück.
    Ritterlichkeit ist ein Archetypus. Als ich nach Dänemark kam, stellte der Bezirk Kopenhagen eine Klasse von Kindern zusammen, die in der Rugmarkschule bei den Einwandererbaracken der Sozialfürsorge in Sundby auf Amager Dänisch lernen sollten. Ich saß neben einem Jungen der Baral hieß. Ich war sieben und hatte kurzgeschnittene Haare. In den Pausen spielte ich mit den Jungen Ball. Nach vielleicht drei Monaten mußten wir in einer Stunde die Namen unserer Banknachbarn sagen.
    »Und die neben dir, Baral, wie heißt die?«
    »Er heißt Smilla.«
    »Sie heißt Smilla. Smilla ist ein Mädchen.«
    Baral sah mich stumm vor Erstaunen an. Nachdem sich der erste Schock gelegt hatte, veränderte sich sein Verhalten zu mir für den Rest meines halben Jahres an dieser Schule eigentlich nur in einem Punkt wesentlich. Es erweiterte sich jetzt um eine angenehme, höfliche Hilfsbereitschaft.
    Diese Hilfsbereitschaft fand ich auch bei Jesaja. Er konnte plötzlich ins Dänische wechseln, um Sie zu mir sagen zu können, als er den diesem Wort innewohnenden Respekt erst einmal begriffen hatte. In den letzten drei Monaten, in denen Julianes Selbstzerstörung zunahm und zielstrebiger war als vorher, kam es hin und wieder vor, daß er am Abend nicht wieder gehen wollte.
    »Glauben Sie«, sagte er, »daß ich hier schlafen kann?«
    Wenn ich ihn dann geduscht hatte, stellte ich ihn auf den Klodeckel und cremte ihn ein. Von da aus konnte er im Spiegel sein Gesicht sehen, das mißtrauisch dem Rosenduft von Elizabeth Ardens Nachtcreme nachschnüffelte.
    Solange er wach war, hat er mich nie berührt. Er nahm nie meine Hand, erwies nie Zärtlichkeiten und bat auch nie darum. Doch im Laufe der Nacht rollte er ab und zu im Tiefschlaf zu mir hin und blieb ein paar Minuten so liegen. An meiner Haut hatte er eine Minierektion, die wie ein Kasperle hochschnellte und wieder verschwand.
    In diesen Nächten schlief ich sehr leicht. Bei der kleinsten Veränderung seiner schnellen Atemzüge wachte ich auf. Oft lag ich einfach wach und dachte, die Luft, die ich jetzt einatme, hat er gerade ausgeatmet.

8
    Bertrand Russell hat einmal geschrieben, die reine Mathematik sei der Themenbereich, bei dem wir nicht wüßten, wovon wir redeten oder inwieweit das, was wir sagen, wahr oder falsch sei.
    So geht es mir mit dem Kochen.
     
    Meistens esse ich Fleisch. Fettes Fleisch. Von Gemüse und Brot wird mir nicht warm. Ich habe nie einen Überblick über meine Küche, über die Rohwaren und die Grundchemie des Kochens bekommen. Ich habe nur ein einziges Arbeitsprinzip. Ich koche immer warm. Das ist wichtig, wenn man allein ist. Es dient einem mentalhygienischen Zweck. Es erhält einen aufrecht.
    Heute dient es noch einem anderen Zweck. Es verschiebt zwei Telefonate. Ich telefoniere nicht gern. Ich will sehen, mit wem ich rede.
    Ich stelle Jesajas Zigarrenkiste auf den Tisch. Dann mache ich mich an den ersten Anruf.
    Eigentlich hoffe ich, daß es zu spät ist, es ist bald Weihnachten, die Leute sind wahrscheinlich früh nach Hause gegangen.
    Ich rufe die Kryolithgesellschaft an. Der Direktor ist noch im Büro. Er stellt sich nicht vor, ist nur eine Stimme, trocken, unverrückbar und abweisend, wie Sand, der durch ein Stundenglas rinnt. Er gibt mir die Auskunft, daß man beschlossen habe, sämtliche Akten dem Reichsarchiv zu übertragen, da der Staat mit im Aufsichtsrat sitze, die Gesellschaft abgewickelt und der Fonds umstrukturiert werde. Das Reichsarchiv bewahrt alle Dokumente zu behördlichen Beschlüssen auf. Einige davon – er kann mir nicht sagen, welche – fallen unter die

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