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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Okular 10, Objektiv 20. Er rückt eine Gaslampe näher heran.
    »Wir sind dabei, den Generator aufzutauen.«
    Erst sehe ich nichts, dann stelle ich scharf ein und sehe eine Kokosnuß.
    » Cyclops marinus «, sagt Tørk. »Der Salzwasserkrebs, es gibt ihn oder seine Verwandten überall, in allen Meeren der Erde. Die Fäden sind Gleichgewichtsorgane. Wir haben ihm ein bißchen Salzsäure gegeben, deshalb liegt er still. Achte mal auf den Hinterkörper. Was siehst du?«
    Ich sehe nichts. Er übernimmt das Mikroskop, rückt die Petrischale darunter zurecht und stellt wieder scharf ein.
    »Das Verdauungssystem«, sage ich, »die Därme.«
    »Das sind keine Därme. Das ist ein Wurm.«
    Jetzt sehe ich es. Darm und Magen sind ein dunkles Feld an der Unterseite des Tieres, der lange helle Kanal dagegen verläuft oben am Rücken.
    »Die übergeordnete Gruppe ist Phylum nematoda , die Gruppe der Fadenwürmer, der hier gehört zur Untergruppe Dracunculo-idea . Es ist der Dracunculus borealis , der Polarwurm. Spätestens seit dem Mittelalter bekannt und beschrieben. Ein großer Parasit. Bei Walen, Robben und Delphinen gefunden, wo er aus den Därmen in die Muskulatur wandert. Hier paaren sich Männchen und Weibchen, das Männchen stirbt, das Weibchen wandert zur Unterhaut hin, wo es einen Knoten von der Größe einer Kinderfaust bildet. Wenn der erwachsene Wurm spürt, daß es im Wasser um ihn herum Cyclops gibt, perforiert er die Haut und entläßt Millionen lebendiger kleiner Larven ins Meer. Dort werden sie von den Krebsen verspeist, die damit als sogenannter Zwischenwirt fungieren, bei dem die Würmer ein Entwicklungsstadium von einigen Wochen durchlaufen. Wenn der Krebs dann mit dem Meereswasser in die Mundhöhle oder in die Gedärme eines größeren Wassersäugetiers gerät, löst er sich auf, die Larve dringt hinaus und bohrt sich in diesen neuen und größeren Wirt, wo sie reift, sich paart, zur Unterhaut vordringt und ihren Zyklus vollendet. Anscheinend stört das weder den Krebs noch die Säugetiere. Einer der bestangepaßten Parasiten der Welt. Hast du mal darüber nachgedacht, was Parasiten daran hindert, sich auszubreiten?«
    Verlaine legt Holz nach und zieht den Generator zum Feuer, die ausstrahlende Hitze brennt an der einen Seite des Körpers, die andere ist kalt. Es gibt keinen richtigen Abzug, der Rauch ist erstickend, sie müssen in Zeitnot sein.
    »Es gibt immer wieder hemmende Faktoren, die sie aufhalten, wie zum Beispiel beim Guineawurm, dem engsten Verwandten des Polarwurms. Er ist abhängig von Wärme und stehendem Wasser. Dort, wo es ihn gibt, sind die Menschen von Oberflächengewässern abhängig.«
    »Wie an der Grenze zwischen Birma, Laos und Kambodscha«, sage ich, »zum Beispiel bei Chiang Mai.«
    Tørk und Verlaine erstarren. Bei Tørk ist es nur ein kaum merkbares Stocken.
    »Ja«, sagt er, »wie zum Beispiel dort, in den relativ seltenen Trockenperioden. Sobald es regnete und das Wasser zu fließen begann, sobald es kühler wurde, wurden die Bedingungen für den Wurm schwieriger. So muß es sein. Parasiten haben sich zusammen mit ihren Wirten entwickelt. Der Guineawurm muß parallel zum Menschen entstanden sein, vielleicht vor über einer Million Jahren. Sie passen zueinander. Hundertvierzig Millionen Menschen laufen jährlich Gefahr, sich einen Guineawurm zu holen. Es gibt zehn Millionen Fälle im Jahr. Die meisten davon Betroffenen durchleben eine mehrmonatige Leidenszeit, aber dann wird der Wurm ausgestoßen. Selbst in Chiang Mai hat höchstens ein halbes Prozent der erwachsenen Bevölkerung dauernde Schäden erlitten. Eine Grundregel des haarfeinen Gleichgewichts der Natur lautet: Ein guter Parasit bringt seinen Wirt nicht um.«
    Er macht eine Bewegung, und ich rücke unwillkürlich zur Seite. Er sieht durch das Mikroskop.
    »Stell dir ihre Situation vor, Loyen, Ving, Licht, 1966. Alles ist organisiert, natürlich gibt es Probleme, aber das sind technische, überschaubare Dinge. Sie haben den Stein ausfindig gemacht, den Abstieg gegossen und diese Räume gebaut. Sie haben Glück mit dem Wetter, und sie haben relativ viel Zeit. Sie haben eingesehen, daß sie nicht den ganzen Stein nach Hause bringen können, wissen aber, daß sie ein Stück mitnehmen können. Es gibt Fotografien von ihren Sägen, eine geniale Erfindung, ein gehärtetes Stahlband, das über Walzen läuft. Loyen hatte sich dagegen gesträubt, daß man mit einem Schneidbrenner an den Stein heranging. Und dann, gerade als die

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