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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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auf der Nordseite vorbereiten. Sie brachten Thuleeskimos mit. Es war ihnen nicht gelungen, Westgrönländer zu bekommen, wegen des schlechten Rufs der Insel. Loyen suchte so, wie Knud Rasmussen seine Meteoriten gefunden hat: indem er die Erzählungen der Eskimos ernst nahm. Er hat ihn gefunden. 1966 ist er zurückgekommen. Er und Ving und Andreas Fine Licht. Aber sie wußten zu wenig, um die technischen Probleme lösen zu können. Sie haben zu dem Stein einen festen Abstieg aus Beton gegossen. Danach wurde die Expedition abgebrochen. 1991 sind sie zurückgekommen. Da waren dann wir dabei. Aber wir mußten umkehren.«
    Sein Gesicht ist in der Dunkelheit fast verschwunden, das einzig Feste ist die Stimme. Ich versuche zu verstehen, warum er redet. Warum er immer noch lügt, selbst in dieser Situation, die so vollständig die seine ist.
    »Was ist mit den Stücken, die abgesägt wurden?«
    Sein Zögern löst das Problem. Dieses Zögern zu verstehen ist irgendwie eine Erleichterung. Ihn beschäftigt immer noch die Frage, wieviel ich weiß und ob ich allein bin. Ob ihn jemand erwartet, auf der Insel, auf dem Meer, wenn er einmal zurückkommt. Noch, einen kleinen Augenblick noch, bis ich gesprochen habe, braucht er mich.
    Zugleich mit diesem Verstehen kommt ein anderes, entscheidend wichtiges und unverständliches. Wenn er wartet, wenn er warten muß, dann deshalb, weil der Mechaniker ihm nicht alles erzählt hat, nicht erzählt hat, daß ich allein bin.
    »Wir haben sie untersucht. Wir haben nichts Ungewöhnliches gefunden. Sie bestanden aus einer Mischung aus Eisen, Nickel, Olivin, Magnesium und Silikat.«
    Ich weiß, daß das die Wahrheit sein muß.
    »Er ist also nicht lebendig?«
    Durch die Dunkelheit spüre ich, daß er lächelt.
    »Die Wärme. Er produziert mit Sicherheit Wärme. Sonst wäre er mit dem Eis weggeführt worden. Er schmilzt die Wände um sich herum mit einer Geschwindigkeit, die der Bewegung des Gletschers entspricht.«
    »Radioaktivität?«
    »Wir haben gemessen, aber keine gefunden.«
    »Und die Toten«, sage ich, »die Röntgenaufnahmen. Die hellen Streifen in den inneren Organen?«
    Eine Zeitlang ist er still.
    »Du könntest mir wohl nicht erzählen, woher du das weißt?« sagt er.
    Ich antworte ihm nicht.
    »Ich habe es gewußt«, sagt er. »Du und ich, wir hätten etwas voneinander haben können. Als ich dich angerufen habe, in der Nacht damals, das war eine impulsive Handlung, ich verlasse mich immer auf meine Intuition, ich wußte, daß du den Hörer abnehmen würdest, ich habe dich gespürt, ich hätte sagen können: ›Komm rüber zu uns.‹ Wärst du gekommen?«
    »Nein«, sage ich.
     
    Der Tunnel beginnt am Fuß des Felsens. Er ist eine einfache Konstruktion. Dort, wo das Eis ohnehin dazu neigt, den Felsen freizugeben, haben sie sich hineingesprengt und danach große Kanalisationsröhren aus Beton ausgegossen. Die Röhren führen in einem steilen Winkel schräg nach unten. Die Stufen sind aus Holz. Erst wundert mich das, dann erinnere ich mich daran, wie schwierig es ist, auf einer Permafrostunterlage Beton zu gießen.
    Zehn Meter weiter unten brennt es.
    Der Rauch kommt aus einem Raum, der an die Treppe angrenzt und aus einer balkenversteiften Betonverschalung besteht. Auf dem Boden liegen ein paar Säcke, und auf den Säcken brennen in einer Öltonne zerhackte Holzkisten.
    An der hinteren Wand stehen auf einem breiten Tisch Instrumente und Ausrüstungsgegenstände. Chromatographen, Mikroskope, große Kristallisationsgläser, ein Wärmeschrank, ein Apparat, den ich noch nie gesehen habe und der aussieht wie ein großer Plastikkasten mit Glasvorderseite. Unter dem Tisch stehen ein Generator und mehrere Holzkisten wie die, die in der Tonne brennen. Alles ist modeabhängig, sogar die Laborausrüstung, die Instrumente erinnern mich an die siebziger Jahre. Alles ist von einer Schicht aus grauem Eis überzogen und muß 1966 oder 1991 zurückgelassen worden sein. Was werden wir zurücklassen?
    Tørk legt eine Hand auf den Plastikkasten.
    »Elektrophorese. Zur Trennung und Analyse von Proteinen. Loyen hatte ihn 1966 mit, als sie noch geglaubt haben, es handele sich um eine Art organischen Lebens.«
    Er nickt, eine kleine Bewegung. Alles, was er tut, ist von dem Wissen durchdrungen, daß diese kleinen Zeichen und Bewegungen ausreichen, damit sich die Welt um ihn nach seinem Willen einrichtet. An einem hohen Arbeitstisch steht Verlaine vor einem Dissektionsmikroskop. Er stellt es für mich ein,

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