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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Rücksitz. Irgendwann lehne ich mich vor und nehme dem Fahrer die Sonnenbrille ab.
    »Ich schweige wie ein Grab, Herzchen«, sage ich. »Mein Mund ist mit sieben Siegeln verschlossen. Von mir erfährt Ravn hier nicht, daß du im Dienst schläfst. Morgens um halb sieben am Kabbelejevej.«
    Beim Polizeipräsidium biegen wir zwischen den roten Gebäuden ein, wo die Kfz-Sachverständigen ihre Büros haben. Wir fahren zu einer niedrigen roten Baracke, die zum Hafen hin liegt.
    Vor dem Gebäude ist kein Schild. Wir begegnen keinem Menschen. Nirgendwo klappern Schreibmaschinen. Die Türen tragen keine Namensschilder. Hier herrschen nur Ruhe und Frieden. Wie in einem Lesesaal. Oder in der Morgue unter dem Gerichtsmedizinischen Institut.
    Die beiden blauen Pagen sind abgefallen. Wir gehen in ein dunkles Büro. Die Fenster haben Jalousien. Durch die Jalousien sieht man das elektrische Licht, die Kais, das Wasser, Islands Brygge.
    Am Tag muß der Raum ziemlich viel Licht kriegen. Ansonsten ist nichts weiter dran. Nichts an den Wänden. Nichts auf den Tischen. Nichts auf den Fensterbrettern.
    Ravn macht das Licht an. In einer Ecke sitzt ein Mann auf einem Stuhl. Er hat hier im Dunkeln gewartet. Sehnig, kurzgeschnittene schwarze Haare, fast Bürstenschnitt, abwesende blaue Augen und ein harter Mund. Sorgfältig gekleidet.
    Ravn setzt sich an den Schreibtisch.
    »Smilla Jaspersen«, stellt er vor. »Kapitän Telling.«
    Ich habe den Rücken zum Fenster und die beiden Männer vor mir.
    Keine Zigaretten, kein Kaffee in Plastikbechern, kein Tonband und kein grelles elektrisches Licht, keine Verhörstimmung. Nur Wartezeit.
    In dieser Wartezeit mache ich mich still.
    Aus der Stille tritt eine Dame mit einem Tablett mit Tee, Zucker, Milch und Zitronenscheiben, alles auf weißem Porzellan. Danach verschluckt das verlassene Gebäude sie, und sie ist weg. Ravn schenkt ein.
    Er holt einen Umschlag aus einer Schublade. Er ist rosa. Er liest langsam. Als wolle er es – noch einmal – zum erstenmal erleben.
    »Smilla Qaavigaaq Jaspersen. Geboren am l6. Juni 1956 in Qaanaaq. Eltern: Robbenfängerin Ane Qaavigaaq und Arzt Jørgen Moritz Jaspersen. Volksschule in Grönland und Kopenhagen. Abitur 1976 an der Birkerød Statsskole. Studium am H.C.Ørsted-Institut und am Geographischen Institut in Kopenhagen. Gletschermorphologie, Statistik und mathematische Grundlagenprobleme. Reisen nach Westgrönland und Thule 1975, 1976 und 1977. Depotauslegungen für dänische und französische Expeditionen nach Nordgrönland 1978, 1979 und 1980. 1982 am Geodätischen Institut eingestellt. Von 1982 bis 1985 wissenschaftliche Teilnehmerin an Expeditionen zum Inlandeis, zum Polarmeer und zum Arktischen Nordamerika. In der Anlage verschiedene Empfehlungen. Eine von Major Guldbrandsen, dem Leiter der Siriuspatrouille in Grönland. Noch von 1979. Er beschwert sich darüber, daß Sie keinen Hundeschlitten fahren wollen. Sie haben Angst vor Hunden?«
    »Reine Vorsicht.«
    »Aber er fügt hinzu, daß er jeder zivilen Expedition empfehlen würde, Sie als Navigatorin mitzunehmen, und wenn man Sie auf dem Rücken mitschleppen müßte. Dann Ihre wissenschaftlichen Aufsätze. Ein Dutzend, mehrere davon im Ausland erschienen. Mit Titeln, die Kapitän Tellings und mein Verständnisvermögen übersteigen. Statistics on Glacial Graphology. Mathematical Models for Brine Drainage from Seawater Ice. Und ein Kompendium für Studenten, das Sie mal geschrieben haben. Grundzüge der nordgrönländischen Gletschermorphologie .«
    Er klappt den Bericht zu.
    »Dann haben wir hier noch mehrere andere Beurteilungen. Von Lehrern. Von Mitarbeitern am Cold Water Laboratory der amerikanischen Armee an einem Ort, der Pylot Island heißt. Aus allen geht übereinstimmend hervor, daß man sich mit Gewinn an Smilla Jaspersen wenden kann, wenn man etwas über Eis wissen will.«
    Ravn zieht den Mantel aus. Darunter ist er spillerig wie ein Pfeifenreiniger. Ich ziehe die Schuhe aus und lege die Füße gekreuzt auf den Stuhl, so daß ich meine Zehen massieren kann. Sie sind vor Kälte gefühllos, und an den Strümpfen hängen noch Eisklumpen.
    »Diese Auskünfte stimmen im großen und ganzen mit dem curriculum vitae überein, das Sie abgegeben haben, als das Norwegische Polarinstitut für seine Expedition zur Kennzeichnung von Eisbären den Antrag auf Einreisegenehmigung nach Nordgrönland stellte. Wir haben Sie ein bißchen genauer unter die Lupe genommen. Alle Informationen sind völlig korrekt. Von

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