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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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verbergen kann.«
    Kein Kommentar. Aber es kommt unter seinem Namen auf die schwarze Liste.
    »Bei diesen Expeditionen haben Sie jedesmal als Navigatorin fungiert. Jedesmal wurden vertrauliches militärisches Kartenmaterial, Satelliten- und Radaraufnahmen und meteorologische Beobachtungen benutzt. Zwölfmal haben Sie in den letzten neun Jahren eine Erklärung unterschrieben, die Ihnen Schweigepflicht auferlegt. Alles Material, von dem wir eine Kopie haben.«
    Allmählich habe ich das Gefühl zu wissen, worauf er hinauswill, was sein roter Faden ist.
    »In einem kleinen Land wie dem unserem sind Sie ein heikler Punkt, Fräulein Jaspersen. Sie haben viel gehört und gesehen. Was man zwangsläufig tut, wenn man nach Nordgrönland reingelassen wird. Aber Sie haben eine Vergangenheit und einen Charakter, die – wenn Sie sich irgendwo anders auf dänischem Territorium befunden hätten – mit Sicherheit dazu geführt hätten, daß Sie überhaupt nichts zu hören oder zu sehen bekommen hätten.«
    Der Blutkreislauf in meinen Füßen funktioniert allmählich wieder.
    »Ich schäme mich«, sage ich. »Ich weine fast. Darf ich mir die Nase an Kapitän Tellings Schlips abwischen?«
    »Wer auch nur einen ganz kleinen Rest von Vernunft hat, würde sich an Ihrer Stelle sehr bedeckt halten.«
    »Haben Sie etwas gegen meine Kleidung? Gegen den Minirock?«
    »Wir haben etwas gegen Ihren nutzlosen oder geradezu schädlichen Versuch, sich in die Untersuchung eines Falls einzumischen, der – das habe ich Ihnen doch versprochen – geprüft wird.«
    Natürlich haben wir uns die ganze Zeit über auf diesen Punkt zubewegt.
    »Ja«, sage ich. »Ich entsinne mich gut, daß Sie das versprochen haben. Damals, als Sie noch bei der Kopenhagener Staatsanwaltschaft gearbeitet haben.«
    »Fräulein Smilla«, sagt er ganz sanft. »Wir können Sie jederzeit ins Kittchen stecken. Verstehen Sie mich? Wir können Sie in eine Einzelzelle – einen Isolationstank – stecken, wann immer uns das paßt. Kein Richter würde zögern, wenn er Ihr Führungszeugnis zu sehen bekäme.«
    Bei dieser Unterredung muß es von Anfang an um Authentizität gegangen sein. Er hat mir zeigen wollen, was er kann. Daß er sich die Informationen beschaffen kann, die ich an die dänische Grönlandverwaltung und an das Militär geschickt habe. Daß er meine Bewegungen hat verfolgen können. Daß er Zugang zu allen Archiven hat. Und daß er jederzeit einen Nachrichtenoffizier herbeischaffen kann, um sechs Uhr abends und direkt vor Weihnachten. Und das alles hat er getan, damit ich auch nicht den geringsten Zweifel hege, daß er mich jederzeit in den Knast stecken kann.
    Es ist ihm gelungen. Jetzt weiß ich, daß er kann. Daß er kriegt, was er haben will. Denn seine Drohung stützt sich auf tiefer liegende Wissensschichten. Die er jetzt ans Licht hebt.
    »Eingesperrtsein«, sagt er langsam, »in einem kleinen schalltoten Raum ohne Fenster, ist, so habe ich mir sagen lassen, besonders unangenehm, wenn man in Grönland aufgewachsen ist.«
    Er hat nichts Sadistisches an sich. Er weiß nur genau und vielleicht ein bißchen melancholisch über seine Druckmittel Bescheid.
    In Grönland gibt es keine Gefängnisse. Der größte Unterschied zwischen der Gesetzgebung in Dänemark und in Nuuk besteht darin, daß man in Grönland Gesetzesübertretungen, für die man in Dänemark mit Haft oder Gefängnis bestraft wird, weit häufiger mit Geldbußen ahndet. Die grönländische Hölle ist nicht die schwefelschwappende europäische Klippenlandschaft. Die grönländische Hölle ist der geschlossene Raum. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als seien wir nie in Innenräumen gewesen. Es war undenkbar für meine Mutter, längere Zeit am selben Ort zu wohnen. Mir geht es mit meiner räumlichen Freiheit wie – nach meiner Beobachtung – Männern mit ihren Hoden. Ich wiege sie wie einen Säugling und bete sie an wie eine Göttin.
    Mit der Untersuchung von Jesajas Tod bin ich am Ende.
    Wir stehen auf. Wir haben unsere Tassen nicht angerührt. Der Tee ist kalt geworden.

II

1
    Man kann eine Depression auf verschiedene Weise zu kaschieren versuchen. Man kann sich in der Erlöserkirche Bachs Orgelwerke anhören. Man kann mit der Rasierklinge auf dem Taschenspiegel eine Schneelinie ziehen und sie mit dem Strohhalm reinziehen. Man kann um Hilfe rufen. Zum Beispiel am Telefon, dann weiß man mit Sicherheit, wer es hört.
    Das ist der europäische Weg. Darauf zu hoffen, daß man sich aus den Problemen

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