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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Kryolithgesellschaft Dänemark. Von dem Bericht, der in einer Plastiktüte vor uns auf dem Tisch liegt.
    Ich erzähle von Ravn. Der nicht genau dort arbeitet, wo er arbeitet, sondern woanders.
    Er starrt vor sich hin, während ich spreche. Mit hochgezogenen Schultern, unbeweglich.
    Es ist verborgen. Es liegt an der Außengrenze des Bewußtseins. Aber wir spüren beide, daß wir einen Tauschhandel eingehen. Daß wir in tiefem, gegenseitigem Mißtrauen die Informationen austauschen, die wir hergeben müssen, um etwas dafür zu bekommen.
    »Dann ist da noch der A-Anwalt.«
    Draußen, über dem Hafen, kommt das Licht, als hätte es in den Kanälen unter den Brücken geschlafen und steige jetzt von dorther zögernd auf das Eis, das sich ans Leuchten macht. In Thule kam das Licht im Februar zurück. Wochen vorher schon sahen wir die Sonne; während sie noch weit hinter den Bergen war und wir im Dunkeln lebten, fielen ihre Strahlen auf Pearl Island, hundert Kilometer weiter draußen im Meer, und ließen die Insel wie einen Kristall aus rosa Perlmutt erglühen. Da war ich mir ganz sicher, egal, was die Erwachsenen sagten, daß die Sonne im Meer ihren Winterschlaf gehalten hatte und nun langsam aufwachte.
    »Es fängt damit an, daß ich in der Strandgade das Auto sehe, einen roten BMW.«
    »Ja«, sage ich.
    Mir kommt es so vor, als wechselten die Autos in der Strandgade jeden Tag.
    »Einmal im Monat. Er holt den Baron. Wenn er zurückkam war er nicht ansprechbar.«
    »Nein«, sage ich.
    Man muß den langsamen Menschen alle Zeit der Welt lassen.
    »Eines Tages mache ich also den Wagen auf und schaue ins Handschuhfach. Ich habe Werkzeug dafür. Rechtsanwalt. Ving heißt er.«
    »Du hättest in das verkehrte Auto schauen können.«
    »B-Blumen. Das ist wie bei Blumen. Wenn man Gärtner ist. Ich sehe ein Auto ein- oder zweimal und erinnere mich daran. So wie es dir mit Schnee geht. So wie es dir auf dem Dach gegangen ist.«
    »Vielleicht habe ich mich geirrt.«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Ich habe gesehen, wie du mit dem Baron das Hopsespiel gespielt hast.«
    Mit diesem Spiel habe ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht. Oft spiele ich es noch im Schlaf weiter. Jemand hopst über eine saubere Schneefläche. Die anderen haben ihm dem Rücken zugekehrt und warten. Danach muß man – auf der Grundlage der Spuren – die Sprünge des Hopsers rekonstruieren. Jesaja und ich haben dieses Spiel oft gespielt. Oft habe ich ihn in den Kindergarten gebracht. Oft kamen wir anderthalb Stunden zu spät. Ich kriegte Krach. Bekam zu hören, daß ein Kindergarten nicht funktionieren kann, wenn die Kinder erst im Laufe des Tages eintrudeln. Aber wir waren glücklich.
    »Er hüpfte wie ein Sack Flöhe«, sagt der Mechaniker träumerisch.
    »Er war ja gerissen. Er wendet sich anderthalbmal in der Luft, landet auf einem Fuß und tritt dabei in seine eigene Spur zurück.«
    Er schaut mich kopfschüttelnd an.
    »Aber jedesmal, jedesmal hast du es erraten.«
    »Wie lange blieben sie weg?«
    Die Preßluftbohrer auf der Knippelsbrücke. Der anrollende Verkehr. Die Möwen. Der ferne Baßklang, eigentlich nur ein tiefes Vibrieren, des ersten Tragflächenboots. Die kurzen Sirenenstöße der Bornholmer Fähre, wenn sie vor dem Amaliegarten wendet. Es wird langsam Morgen.
    »Vielleicht ein paar Stunden. Aber zurück brachte ihn ein anderes Auto. Ein Taxi. Er kam immer allein in einem Taxi zurück.«
    Er macht uns ein Omelett, während ich an der Tür lehne und ihm vom Gerichtsmedizinischen Institut erzähle. Von Professor Loyen. Von Lagermann. Von den Spuren einer möglichen Muskelbiopsie, die man an einem Kind vorgenommen hat. Nachdem es gefallen war.
    Er schneidet Zwiebeln und Tomaten, wendet sie in Butter, schlägt das Eiweiß steif, zieht die Dotter darunter und brät das Ganze auf beiden Seiten. Er nimmt die Pfanne mit zum Tisch. Wir trinken Milch dazu und essen schwarzes, saftiges Roggenbrot, das nach Teer duftet. Ich denke an meine Dosenmahlzeiten.
    Wir essen schweigend. Wenn ich mit Fremden esse – so wie jetzt – oder großen Hunger habe – so wie jetzt –, kommt mir immer die rituelle Bedeutung der Mahlzeit in den Sinn. Dann erinnere ich mich an meine Kindheit, an das Verschmelzen des feierlichen Beisammenseins mit großen Geschmackserlebnissen. Den rosafarbenen, leicht schäumenden Walspeck, der aus einer Gemeinschaftsschüssel gegessen wurde. Das Gefühl, daß im großen und ganzen alles im Leben zum Teilen da ist.
    Ich stehe auf.
    Er

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