Peter Hoeg
Gummibegriff, der bezeichnet, was der Wirtschaftsprüfer gutheißen kann. Wissen Sie, wie sich die Verantwortung in börsengängigen Unternehmen, verteilt?«
Ich schüttele den Kopf. Die Plätzchen bringen Butter und Gewürze so zusammen, daß man hundert davon essen könnte und erst merken würde, wie schlecht einem eigentlich ist, wenn es bereits zu spät ist.
»Der Vorstand ist gegenüber dem Aufsichtsrat und letzten Endes natürlich auch gegenüber der Hauptversammlung rechenschaftspflichtig. Der Finanzleiter war ›amtierender Aufsichtsratsvorsitzender‹. Das kann eine sehr praktische Machtverteilung sein, setzt allerdings höchstes Vertrauen voraus. Ottensen war immer in der Mine. Der Verkaufsleiter war immer verreist. Ich glaube, ich sage nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß der Finanzleiter viele Jahre hindurch in der Gesellschaft alle wichtigen Beschlüsse allein gefaßt hat. Dabei gab es keinen Grund, seine Integrität zu bezweifeln. Ein durch und durch würdiger Entscheidungsträger. Jurist und Wirtschaftsprüfer. Ehemaliges Mitglied im Stadtrat. Für die Sozialdemokraten. Er hatte und hat mehrere Aufsichtsratsposten. In Wohnungsbaugenossenschaften und Sparkassen.«
Sie reicht mir die Schale. Die Dänen bringen ihre stärksten Gefühle in Zusammenhang mit Nahrungsmitteln zum Ausdruck. Das habe ich begriffen, als ich das erstemal mit Moritz bei Freunden zu Besuch war. Als ich zum drittenmal nach den Keksen griff, sah er mich direkt an.
»Nimm, bis du dich schämst«, sagte er.
Ich war nicht sicher im Dänischen, aber den Sinn hatte ich begriffen. Ich nahm noch dreimal. Ohne ihn aus den Augen zu lassen. Der Raum war weg, die Leute, die wir besuchten, waren weg, ich merkte nicht, wie die Kekse schmeckten. Nur Moritz existierte.
»Ich schäme mich immer noch nicht«, sagte ich. Ich griff noch dreimal zu. Da nahm er die Schale und entzog sie meinem Zugriff. Ich hatte gewonnen. Den ersten einer langen Reihe von kleinen, wichtigen Siegen über ihn und die dänische Erziehung.
Elsa Lübings Plätzchen sind anders. Sie sollen mich zu ihrer Vertrauten und zugleich zur Mitschuldigen machen.
»Die Wirtschaftsprüfer werden von der Hauptversammlung gewählt. Doch die Aktien der Gesellschaft sind – abgesehen von den Anteilen des Finanzleiters und des Staates – in viele Hände verteilt. Sie liegen bei allen Erben der acht Teilhaber, die im vorigen Jahrhundert die ersten Konzessionen erhalten haben. Es war nie möglich, sie zur Hauptversammlung zusammenzubringen. Das bedeutet, daß das leitende Vorstandsmitglied einen außerordentlich großen Einfluß hatte. Schon bemerkenswert, daß alle Beschlüsse über den wirtschaftlich wichtigsten Teil der grönländischen Bodenschätze von einem einzigen Menschen getroffen wurden, nicht wahr?«
»Ergreifend.«
»Die Sache hat außerdem noch einen geschäftlichen Aspekt. Die Gesellschaft war ein sehr großer Kunde. Ein Wirtschaftsprüfer, der gegen den Leiter auftrat, mußte sich darauf einstellen, diesen Kunden zu verlieren. Obendrein gab es dann noch die Personalunion. Der Wirtschaftsprüfer, den die Gesellschaft in den sechziger Jahren hatte, wurde später, als der Leiter eine Rechtsanwaltspraxis aufmachte, dessen Kollege. Am 7. Januar 1967 bilanzierte ich den Halbjahresabschluß. Darin tauchte ein unspezifizierter Posten auf. 115.000 Kronen. Damals ein hoher Betrag. Vielleicht hätte das einen Außenstehenden nicht gewundert. Der Aufsichtsrat jedenfalls hätte ihn bestimmt nicht bemerkt. Nicht bei einem Umsatz von fünfzig Millionen. Doch für mich, die ich mit der täglichen Buchführung zu tun hatte, war er inakzeptabel. Ich suchte also nach der betreffenden Karteikarte. Sie war nicht da. Die Karten waren alle numeriert, sie mußte also dasein. Aber sie fehlte. Also ging ich zum Büro des Leiters. Ich arbeitete inzwischen seit zwanzig Jahren unter seiner Leitung. Er hörte mich an, sah in seine Papiere, und dann sagte er: ›Fräulein Lübing – diesen Posten habe ich akzeptiert. Aus Buchungsgründen war es zu schwer, ihn zu spezifizieren. Unser Wirtschaftsprüfer ist der Ansicht, daß die vorliegende Aufstellung einer korrekten Rechnungslegung entspricht. Was darüber hinausgeht, liegt außerhalb Ihrer Zuständigkeit.‹«
»Was haben Sie unternommen?« frage ich.
»Ich ging zurück und trug die Zahlen ein. Wie man mir befohlen hatte. Damit machte ich mich zur Mitschuldigen. An einer Sache, die ich nicht verstand und nie verstanden habe. Ich habe die mir
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