Peter Hoeg
anvertrauten Talente nicht verwaltet. Mich des Vertrauens nicht würdig erwiesen.«
Ich fühle mit ihr. Schlimm ist nicht, daß man ihre Zuständigkeit bezweifelt hat, indem man ihr Informationen vorenthalten hat. Auch nicht, daß man ihr eine unverschämte Antwort gegeben hat. Schlimm ist, daß man ihr Ideal von Rechtschaffenheit verrückt hat.
»Ich will Ihnen erzählen, wo in der Bilanz der Betrag aufgetaucht ist.«
»Lassen Sie mich raten«, sage ich. »In der Abrechnung der geologischen Expedition, die die Gesellschaft im Sommer 1966 zum Barrengletscher auf Gela Alta vor der Westküste von Grönland geschickt hat.«
Sie schaut mich mit schmalen Augen an.
»Der Bericht von 1991 enthielt Hinweise auf eine frühere Expedition«, erkläre ich. »So einfach war das.«
»Auch damals hat es ein Unglück gegeben«, sagt sie. »Ein Unglück mit Sprengstoff. Zwei von acht Teilnehmern kamen um.«
Langsam beginne ich zu ahnen, weshalb sie mich geholt hat. Sie sieht in mir eine Art Wirtschaftsprüferin. Eine Person, die ihr und dem lieben Gott vielleicht dabei helfen kann, eine noch offene Bilanz vom 7. Januar 1967 zu revidieren.
»Was denken Sie?« fragt sie.
Was soll ich ihr antworten? Meine Gedanken sind chaotisch.
»Ich denke«, erwidere ich, »daß der Barrengletscher anscheinend ein ungesunder Aufenthaltsort ist.«
Eine Zeitlang haben wir geschwiegen und unseren Tee getrunken, Kekse gegessen und auf die schneebedeckte alltägliche Welt zu unseren Füßen geschaut, die jetzt sogar einen Sonnenstreif quer über den Solsortevej und den Fußballplatz bei der Schule am Duevej hat. Die ganze Zeit über weiß ich jedoch, daß sie noch eine Fortsetzung auf Lager hat.
»Der Konferenzrat starb 1964«, sagt sie. »Alle sagen, mit ihm sei eine Epoche des dänischen Finanzlebens gestorben. In seinem Testament hatte er verlangt, daß sein Rolls-Royce im Nordatlantik versenkt werden sollte. Währenddessen sollte der schwedische Schauspieler Gösta Ekman an Deck des Schiffes Hamlets Monolog rezitieren.«
Ich sehe die Szene vor mir. Und denke mir, daß diese Beisetzung als Symbol eines politischen Todes und einer politischen Wiederauferstehung gesehen werden konnte. Die alte, ungeschminkte Kolonialpolitik in Grönland wurde begraben. Um der Politik der sechziger Jahre Platz zu machen – der Erziehung der Norddänen zu denselben Rechten.
»Die Gesellschaft wurde umstrukturiert. Wir merkten das daran, daß ein neuer Büroleiter kam und in der Buchhaltung zwei neue Damen eingestellt wurden. Ansonsten aber war es die Wissenschaftliche Abteilung, die die größten Veränderungen erlebte. Weil das Kryolith zu Ende ging. Die ganze Zeit über hatten sie ja an neuen Sortier- und Gewinnungsmethoden arbeiten müssen, weil sich die Erzqualität immer mehr verschlechterte. Doch wir wußten alle, worauf das hinauslief. Beim Essen in der Kantine liefen ab und zu Gerüchte von neuen Funden um. Es war wie ein kurzes Fieber. Nach ein paar Tagen wurden sie dementiert. Ursprünglich hatte das Labor nur vier Mitarbeiter. Es wurde ausgebaut. Irgendwann waren es sogar einmal zwanzig. Früher wurden in einer solchen Phase für kürzere Perioden zusätzlich Geologen eingestellt, meist aus Finnland. Doch jetzt wurde eine feste wissenschaftliche Gruppe eingerichtet. 1967 kam dann noch die Beratende wissenschaftliche Kommission dazu. Das machte die tägliche Arbeit geheimnisvoller. Wir erfuhren nur sehr wenig. Aber die Kommission war gebildet worden, um neue Funde zu machen. Sie bestand aus Vertretern einiger großer Unternehmen und Institutionen, mit denen die Gesellschaft zusammenarbeitete. Svenska Diamantborrningsaktiebolaget, Danmarks Undergrund AG, Geologisches Institut, Grønlands Geologiske Undersøgelser. Das verkomplizierte die Buchhaltung. Die vielen neuen Honorare und Expeditionskosten machten das Ganze verwickelt. Und die ganze Zeit über blieb für mich die ungeklärte Frage der 115.000 Kronen.«
Ich überlege mir, wie es für sie mit ihrem überdimensionierten Sinn für Zahlen und ihrem Glauben an die Redlichkeit wohl gewesen sein muß, jeden Tag mit einem Menschen zusammenarbeiten zu müssen, den man im Verdacht hat, eine Unregelmäßigkeit gedeckt zu haben.
Sie selbst gibt mir die Antwort.
»Denn es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde. Markus, Kapitel 4, Vers 22.«
Die Gewißheit der himmlischen Gerechtigkeit hat ihr Geduld verliehen.
»1977 bekamen wir EDV. Es ist mir nie gelungen, sie zu verstehen. Auf meine
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