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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Gebet gewandt. Jetzt wünscht sie sich, daß ich mich als seine Abgesandte zu erkennen gebe.
    »Dieses Kümo. Ist es mit dem Ding abgefahren, das es holen sollte?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Schwer zu sagen. Nach dem Unglück wurden die Überlebenden und ihre Ausrüstung nach Godthåb und von dort nach Hause geflogen. Das weiß ich ganz sicher, weil die Buchhaltung Fracht und Flugticket bezahlt hat.«
    Sie bringt mich bis an den Fahrstuhl. Ich empfinde eine plötzliche Zärtlichkeit für sie. Eine Art Muttergefühl, obwohl sie doppelt so alt ist wie ich und dreimal so stark.
    Der Fahrstuhl kommt.
    »Nun kriegen Sie aber bloß keine bösen Träume wegen Ihrer Ehrlichkeit«, sage ich.
    »Ich bin inzwischen zu alt, um noch etwas zu bereuen.«
    Ich fahre hinunter. Beim Hinausgehen fällt mir etwas ein. Als ich sie durch die Silbermuschel anrufe, antwortet sie, als hätte sie direkt neben der Gegensprechanlage auf den Anruf gewartet.
    »Fräulein Lübing.«
    Man würde nie auf die Idee verfallen, ihren Vornamen zu benutzen.
    »Der Finanzleiter. Wer war das?«
    »Er geht nächstes Jahr in Pension. Er hat eine eigene Anwaltspraxis. Er heißt David Ving. Das Büro heißt Hammer und Ving. Die Adresse ist irgendwo in der Østergade.«
    Ich danke ihr.
    »Gott sei mit Ihnen«, sagt sie.
    Das hat außerhalb einer Kirche noch nie jemand zu mir gesagt. Möglicherweise habe ich es bisher auch noch nicht so sehr gebraucht wie jetzt.
     
    »Ich hatte einen K-Kollegen, der hat in der Putzkolonne bei der Schaltzentrale der Telefongesellschaft in der Nørregade gearbeitet.«
    Wir sitzen im Wohnzimmer des Mechanikers.
    »Er hat mir erzählt, daß die einfach anrufen und sagen, sie hätten eine richterliche Genehmigung. Dann schalten sie sich einfach in ein Relais ein und können vom Polizeipräsidium aus alle ein und aus gehenden Telefongespräche einer bestimmten Nummer anzapfen.«
    »Ich habe das Telefon noch nie gemocht.«
    Er hat eine große Rolle mit breitem rotem Isolierband und eine kleine Schere auf dem Tisch liegen. Er schneidet einen langen Streifen ab und klebt damit den Telefonhörer fest.
    »Bei dir oben machen wir dasselbe. Von jetzt an mußt du jedesmal, bevor du anrufst, und jedesmal, wenn dich jemand anruft, erst den S-Streifen abmachen. Das wird dich daran erinnern, daß du irgendwo in der Stadt vielleicht Zuhörer hast. Am Telefon vergißt man immer, daß es nicht unbedingt nur eine Privatangelegenheit ist. Der Streifen wird dich daran erinnern, vorsichtig zu sein. Falls du zum Beispiel mit einer Liebeserklärung kommst.«
    Wenn ich jemandem eine Liebeserklärung machen sollte, dann jedenfalls nicht telefonisch. Aber ich sage nichts.
    Ich weiß nichts über ihn. Im Laufe der letzten zehn Tage habe ich ein paar Tröpfchen seiner Vergangenheit gesehen. Sie hängen nicht zusammen. Wie jetzt, wo sich zeigt, daß er die Abhörprozedur kennt.
    Der Tee, den er uns macht, ist auch so ein Tropfen, der mich erstaunt, nach dem ich ihn jedoch nicht fragen will.
    Er kocht Milch mit frischem Ingwer, einer viertel Stange Vanille und einen so dunklen und feinblättrigen Tee, daß er aussieht wie schwarzer Staub. Er seiht ihn und tut für uns beide Rohrzucker hinein. Der Tee hat etwas euphorisierend Aufputschendes und zugleich Sättigendes. Er schmeckt so, wie nach meiner Vorstellung der Orient schmecken muß.
    Ich erzähle ihm von meinem Besuch bei Elsa Lübing. Er weiß jetzt alles, was ich weiß. Abgesehen von einigen Einzelheiten, wie beispielsweise Jesajas Zigarrenkiste und deren Inhalt, zu dem unter anderem ein Band gehört, auf dem ein Mann lacht.
    »Wer, außer Carlsberg, hat die Expedition von 1991 bezahlt? Konnte sie das sagen? Und wer hat das Schiff besorgt?«
    Ich ärgere mich, daß ich gerade danach nicht gefragt habe. Ich greife zum Telefon. Der Hörer ist festgeklebt.
    »G-genau deshalb braucht man den Klebestreifen«, sagt er. »Die Vorsicht hat man nämlich nach fünf Minuten vergessen.«
    Wir gehen zusammen zur Telefonzelle auf dem Markt. Er macht anderthalbmal so große Schritte wie ich. Trotzdem habe ich das Gefühl, mühelos neben ihm hergehen zu können. Er geht genauso langsam wie ich. Als meine Mutter nicht zurückkam, merkte ich, daß jeder Augenblick der letzte sein kann. Es darf im Leben nichts geben, das nur der Weg von einem Ort zum anderen ist. Jeden Spaziergang muß man gehen, als sei er alles, was man noch vor sich hat.
    Eine solche Haltung kann man als – unerreichbares – Ideal haben. Aber man muß

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