Peter Hoeg
sich jedesmal, wenn man mit irgend etwas schlampt, daran erinnern. Bei mir heißt das: zweihundertfünfzigmal am Tag.
Sie nimmt sofort ab. Es überrascht mich, wie selbstsicher ihre Stimme ist.
»Ja?«
Ich stelle mich nicht vor.
»Die 450.000. Wer hat die bezahlt?«
Sie fragt nichts. Vielleicht ist ihr ebenfalls offenbart worden, daß sich in ihrer Leitung mehrere Leute tummeln könnten. Einen Augenblick denkt sie schweigend nach.
›»Geoinform‹«, sagt sie dann. »So hieß die Gesellschaft. Sie hatten zwei Vertreter in der Wissenschaftlichen Kommission. Sie haben ein Aktienpaket. Fünf Prozent, soweit ich mich entsinne. Genug, um sie im Handelsregister eintragen lassen zu müssen. Die Gesellschaft gehört einer Frau.«
Der Mechaniker ist mit in die Zelle gekommen. Das läßt mich an drei Dinge denken. Erstens, daß er sie ausfüllt. Als könnte er, wenn er sich aufrichten würde, den Boden herauspressen und mit mir und dem Kasten losspazieren.
Zweitens, daß seine Hände an der Glaswand vor mir glatt und sauber sind. An Arbeit gewöhnt, aber glatt und sauber. Ab und zu hat er Arbeit in einer Werkstatt am Toftegårdsplatz. Wie kann man den ganzen Tag mit Schmieröl und Steckschlüsseln herummurksen und trotzdem so glatte Finger haben, frage ich mich. Das dritte ist, daß ich ehrlich genug bin zuzugeben, daß es irgendwie angenehm ist, so neben ihm zu stehen. Ich muß mich zusammenreißen, um das Gespräch deswegen nicht zu verlängern.
»Ich habe über etwas, wonach Sie gefragt haben, nachgedacht. Berlin nach dem Krieg. Es gab noch einen Mitarbeiter. Damals war er nicht bei uns angestellt. Aber später. Nicht in der Mine, sondern hier in Kopenhagen. Als medizinischer Berater. Doktor Loyen. Johannes Loyen. Er hat auch für die Amerikaner gearbeitet. Ich glaube, er war Gerichtsmediziner.«
»Wie wird man Professor, Smilla?«
Wir haben auf einem Zettel Namen aufgelistet: zuerst Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer David Ving. Jemand, der etwas mit Schiffen machen kann. Die Charterkosten vertuschen, zum Beispiel. Und kleinen grönländischen Jungs Schiffe als Weihnachtsgeschenk schicken.
Dann Benedicte Clahn. Der Mechaniker hat sie im Telefonbuch gefunden. Wenn sie es denn ist. Es stellt sich heraus, daß sie nur zweihundert Meter von der Stelle entfernt wohnt, an der wir jetzt sitzen. In einem der restaurierten Packhäuser in der Strandgade. Mit Dänemarks teuersten Eigentumswohnungen. Drei Millionen Kronen für 84 Quadratmeter. Dafür hat man dann aber auch anderthalb Meter dicke Ziegelwände, an denen man sich den Kopf einrennen kann, wenn man den Quadratmeterpreis ausgerechnet hat. Und Balken aus Pommernkiefer, an denen man sich aufhängen kann, wenn das mit der Wand nichts hilft. Neben ihren Namen hat er eine Telefonnummer geschrieben.
Dann zwei Professoren. Johannes Loyen und Andreas Fine Licht. Zwei Männer, über die wir nicht so schrecklich viel mehr wissen, als daß ihre Namen mit den beiden Expeditionen nach Gela Alta verknüpft sind. Zwei Expeditionen, über die wir eigentlich auch nichts wissen.
»Mein Vater«, sage ich, »ist mal Professor gewesen. Jetzt, wo er keiner mehr ist, sagt er, daß meistens die Professor werden, die tüchtig sind, ohne zu tüchtig zu sein.«
»Und was passiert mit denen, die zu tüchtig sind?«
Ich hasse es, Moritz zu zitieren. Was soll man mit Leuten anfangen, deren Sprüche man nicht wiederholen will, die es aber nun mal am treffendsten ausgedrückt haben?
»Er sagt, entweder steigen sie zu den Sternen empor, oder sie gehen zugrunde.«
»Was davon ist deinem Vater passiert?«
Ich muß ein bißchen nachdenken, bevor ich eine Antwort finde.
»Ich glaube, er ist wohl eher mittendurch gebrochen«, sage ich.
Schweigend hören wir auf die Geräusche der Stadt. Die Autos auf der Brücke. Den Lärm der Preßlufthämmer der Nachtschicht in einem der Trockendocks der Marineinsel Holmen. Das Glockenspiel der Erlöserkirche. Es heißt, daß jeder darauf spielen darf. Den Eindruck hat man auch. Manchmal klingt es wie Horowitz. Und manchmal, als hätten sie den nächstbesten Besoffenen aus dem Wirtshaus Hobel geholt.
»Das Handelsregister«, sage ich. »Die Lübing hat gesagt, daß man, wenn man wissen will, wer eine Gesellschaft kontrolliert oder im Aufsichtsrat sitzt, nur im Handelsregister nachzusehen braucht. Dort sollen auch die Jahresabschlüsse aller börsennotierten Gesellschaften dokumentiert sein.«
»Das l-liegt in der Kampmannsgade.«
»Woher weißt
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