Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
Schwarz-Weiß-Klassiker, die nicht auf DVD, sondern nur auf originalen Filmrollen voll zur Geltung kamen. Das Bild musste flimmern, der Ton kratzen - dann war es authentisch, denn genauso wie der Film selbst erzählte auch das Filmmaterial eine Geschichte.
Während er in Erinnerungen schwelgte, gelangte er in die Josefstadt. Die schmiedeeisernen Straßenlaternen erinnerten ihn an Wien - wie vieles andere auch ein Überbleibsel der Monarchie. Hier konnte man die Touristen an einer Hand abzählen. Was gab es hier auch schon viel zu sehen außer brüchigen Gebäudeeingängen oder in den Bürgersteig eingelegte Mosaike, die nicht so aussahen, als wären sie jemals restauriert worden? Dieser Stadtteil mit seinen engen Gässchen, dem Kopfsteinpflaster, den verschnörkelten Häuserfassaden und schmalen Plätzen wirkte wie ein in Vergessenheit geratenes Ghetto. Dazwischen blickten immer wieder neugierige Gesichter aus dunklen Häusernischen, hinter Mülltonnen oder verrosteten Briefkästen hervor. Aus den Hinterhöfen drang der Geruch nach faulem Gemüse, der Hogart an die Armenviertel der Wiener Bezirke erinnerte, in denen er aufgewachsen war. Untrennbar damit verband er auch die Erinnerung an seinen Vater, diesen feinen und intelligenten Mann, vor dem er stets Achtung und Respekt gehabt hatte. Zugleich war sein Vater aber auch ein gutgläubiger Narr gewesen, der selbst dann noch an das Gute im Menschen geglaubt hatte, als ihn seine Partner bereits offensichtlich hereinlegten, bis er mit seinem Lebensmittelladen schließlich Pleite machte. Dann kam heraus, dass seine Frau ihn betrog, worauf eine katastrophale Scheidung als Draufgabe folgte. Ziemlich viel Stoff für einen Neunjährigen, der im Gegensatz zu seinem Vater schon recht früh gelernt hatte, niemandem zu vertrauen. Seitdem fragte sich Hogart, ob ihm die Erinnerung an den finanziellen Ruin seines alten Herrn so tief in den Knochen saß, dass er deswegen Versicherungsdetektiv geworden war. Ging es ihm nur darum, Betrüger zu fassen, die andere aufs Kreuz legten? Vielleicht wollte er mit seinem Job etwas gutmachen, das er als Jugendlicher nicht hatte verhindern können: dass manchmal die Wahrheit verschleiert wurde und nie ans Licht kam.
Die Straßenlaterne flackerte. Es roch nach Rossäpfeln. Laut einem Plakat an der Häuserecke konnte man hier für fünfhundert Kronen eine Kafka- oder Golem-Tour in einer Kutsche buchen. Die nächtliche Rundfahrt durch das alte Prag gab es also noch immer. Zweimal führte Hogarts Weg unter einem gewölbten Viadukt durch den Bauch eines Hauses, bis er in einen Hof gelangte, an dessen Ende ein schiefer Durchgang zur nächsten Seitenstraße führte. Dort bildete er sich ein, das widerhallende Klappern von Hufen auf Pflastersteinen zu hören, das durch das Labyrinth aus Häuserwänden zu ihm drang. Im gleichen Augenblick holperte am Ende der Gasse ein Fiaker vorüber. Die Gästekabine war leer und der Fuhrmann hing wie ein Schlafender auf dem Kutschbock.
Hinter der nächsten Biegung gelangte Hogart endlich in die Bernardigasse. Es war kaum zu fassen, aber sie war noch schmaler - zwischen den windschiefen Häuserwänden kam gewiss keine Kutsche mehr durch. Was hatte Schelling hier nur gesucht?
Bestimmt keinen nostalgischen Rundgang, um die alten Patrizier-Häuser zu bewundern: Zum Storch, Zum Pferdefuß, Zum goldenen Einhorn, Zur kalten Herberge oder Zur steinernen Glocke - verrostete Messingschilder über den Lokalen, in denen sich längst keine Gäste mehr befanden, da Türen und Fenster mit Brettern vernagelt waren. Scheinbar erfüllten die Häuser jetzt einen anderen Zweck. In den Eingängen lungerten Penner, und an den Mauern lehnten rassige Zigeunerinnen mit geschminkten Augenlidern, deren Lachen verstummte, sobald sie ihn sahen. Die Frauen stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen in die Seite und nickten ihm zu. Rings um ihn wisperte es. Hogart stieg mit einem weiten Schritt über einen Penner hinweg. Mit einem Mal fühlte er sich mit seinem camelfarbenen Mantel wie ein Eindringling. Trotzdem zeigte er das Foto von Schelling herum. Er suche seine Sestra - seine Schwester. Für hundert Kronen bekam er ein eindeutiges Lächeln als Antwort - mehr nicht. Wer sollte sich auch an eine Frau erinnern, die vor über drei Wochen hier gewesen war?
Das Ende der Bernardigasse wurde breiter und mündete in einen kleinen offenen Platz. Da es keine andere Möglichkeit gab, musste das Taxi hier gehalten haben, um Schelling aussteigen zu
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