Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
wird. Peter Neururer verlässt Freunde. Noch heute fragt er sich bei jedem Besuch im Bochumer Ruhrstadion, wie er das alles hat wegschmeißen können. Aber er würde sich auch heute wieder genauso entscheiden. Aus Prinzip. Aus Glaubwürdigkeit. Aus Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.
Der zweite Versuch - Hannover
Dass sich Hannover 96 im Herbst 2005, vier Monate nach dem selbstverschuldeten Aus in Bochum, bei ihm meldet, freut Peter Neururer. Er sieht darin auch die Bestätigung der von ihm zehn Jahre zuvor abgelegten Arbeit bei dem Verein - und dass man sich in der Heimat von Gerhard Schröder, Christian Wulff und den Scorpions noch im Guten daran erinnert. Da kann die gemeinsame Zeit für 96 so schlecht nicht gewesen sein, sie ist allenfalls komisch geendet.
Inzwischen heißt der Präsident bei 96 nicht mehr Müller, sondern es gibt zwei »erste Männer« im Club: Götz von Fromberg ist der President des Gesamtvereins, Dr. Karl-Heinz Vehling heißt der Vorsitzende der aus dem Verein ausgegliederten KGaA, in der die Profiaktivitäten von Hannover 96 zusammengefasst sind. Er ist der neue starke Mann im Verein. Sein Vorgänger (und Nachfolger) Martin Kind, ein Unternehmer, der sein Geld mit Hörgeräten macht, hat Neururer zuvor schon einmal verpflichten wollen, aber als Kind anfragt, hat Neururer noch einen laufenden Vertrag zu erfüllen. Jetzt passt es. Neururer kommt bei 96 an und trifft auf Vehling, der dem Trainer fortwährend von diesen Gesellschaftskonstrukten erzählt: wie der Verein jetzt neu aufgebaut wird, von der Einflussnahme des Finanzdienstleistungsunternehmers Carsten Maschmeyer und jede Menge anderen Kram, der mit dem eigentlichen Spiel auf dem Rasen allenfalls sekundär etwas zu tun hat. Das passt ins Bild, denn Vehling stellt sich für Neururer als ein höflicher, wohlerzogener, auf seinem Feld kompetenter Mann dar, der aber vom Fußball keine Ahnung hat. Auch deswegen hat sich der KGaA-Chef mit dem Schweizer Ilja Kaenzig einen kompetenten Manager an die Seite geholt, der für das Sportliche verantwortlich zeichnet. Neururer erlebt Kaenzig als rhetorisch hochbegabt, fachlich überdurchschnittlich gut. Der 32-Jährige verfügt über ein riesengroßes Netzwerk, das er sich in den sechs Jahren bei Bayer Leverkusen unter Reiner Calmund aufgebaut hat. Kaenzigs Probleme in Hannover: Weder im Verein noch in der KGaA kann er seinen Einfluss geltend machen -man lässt ihn einfach auflaufen. Und: Er weiß nicht, wer seine wahren »Freunde« sind. Was zum nächsten Problem führt: Ilja Kaenzig wird sich auf die falschen Leute verlassen.
Neururers zweite Amtszeit in Hannover ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig es für einen Verein und damit für seinen Trainer ist, eine realistische Einschätzung der Situation vorzunehmen und daraus eine vernünftige Zielsetzung zu formulieren. Viele Trainer lassen sich, insbesondere zum Amtsantritt, dazu hinreißen, die Wirklichkeit in der Öffentlichkeit schöner auszumalen, als sie ist. Oder sie unterlassen es, den lauten Träumen von Präsidenten, Sportdirektoren oder Medien entschieden zu widersprechen. Auch deswegen scheitern sie.
Im November 2005 übernimmt Peter Neururer in Hannover die Mannschaft von Ewald Lienen, der dort - nicht nur nach Einschätzung seines Amtsnachfolgers - tolle Arbeit geleistet hat. Insbesondere mit der Mannschaft ist Lienen sehr gut ausgekommen. Das macht es für seinen Nachfolger schwierig, um nicht zu sagen brandgefahrlich.
Wenn man einen Kollegen ablöst, muss man etwas anders machen als der Vorgänger. Aber was will, was kann man machen, ohne dass es wirkt, als mache man eben einfach nur etwas anders, weil man muss? »Du hast ein, zwei Tage«, erklärt Neururer, »die richtigen Entscheidungen zu treffen. Greifen die nicht, ist es schon vorbei.«
Eine wichtige Maßnahme ist, sofort das Gespräch mit den Leistungsträgern zu suchen, jenen Spielern, die aus der Mannschaft herausragen und die ihre Sonderstellung aber auch aus der Anerkennung ihrer Mitspieler beziehen. In Hannover redet Neururer mit Torhüter Robert Enke und Michael »Tanne« Tarnat, der ein besonders gutes Verhältnis zu Lienen gehabt hat. Und obwohl Tarnat wie Neururer aus dem Ruhrgebiet stammt, ist er sehr skeptisch, was den neuen Mann auf der 96-Bank betrifft.
In aller Offenheit erklärt Neururer Enke und Tarnat bei dem gemeinsamen Treffen, wie er zu dem Job gekommen ist, dass er die Arbeit Lienens sehr hoch einschätzt und dass er weiß, dass sein Vorgänger
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