Peter Nimble und seine magischen Augen
Seil aus meinem Sack und befestige es irgendwo, wo es gut hält.« Das Mädchen beschloss, jetzt keine Diskussion anzufangen, und führte seinen Befehl ohne ein weiteres Wort aus.
»Na, wo versteckst du dich?«, murmelte Peter und wandte sich wieder der Tunnelwand zu. Je weiter er ging, desto höher stieg das Wasser. Mittlerweile reichte es ihm bis zu den Oberschenkeln und zerrte mit der Macht einer Flutwelle an ihm. Der Sog war so stark, dass er das Gleichgewicht verlor und sich an der Wand abstützen musste, um nicht zu fallen. Dabei landeten seine Finger auf einem kleinen Metallknauf, der mit ein paar rostigen Rohren an der Tunneldecke verbunden war. »Ist das Seil festgebunden?«, rief er über die Schulter.
Da sie in unterirdischen Höhlen aufgewachsen war, hatte die Prinzessin einiges über gute Kletterknoten gelernt. Das Seil war fachmännisch um den vorspringenden Fangzahn des Wasserspeiers geknüpft. »Alles bestens!«, rief sie zurück.
»Gut! Dann halte dich fest!« Peter legte die Hand um den Knauf und drehte, so fest er konnte. Die Rohre erbebten stöhnend, als nicht nur einer, sondern alle Wasserspeier im Speisesaal eine Sturzflut über die Menge ergossen.
Für den Fall, dass ihr das Gefühl nicht kennt: Ein Schlag auf den Kopf wird allgemein als eine der unangenehmsten Überraschungen angesehen, die das Leben so bereithält. So ein Angriff führt in der Regel dazu, dass das Opfer herumfährtund »Wer war das?!« in die Luft hinter ihm schreit. Bisweilen fasst sich die Person dann an den Kopf, um festzustellen, ob sie blutet. Das passiert häufig großen Leuten, wenn sie gegen Deckenbalken oder tief hängende Äste stoßen – was, nebenbei bemerkt, erklärt, warum Riesen immer so schlechte Laune haben.
Die Bürger des Königreichs waren zwar nicht besonders groß, aber sie bekamen trotzdem alle einen Schlag auf den Kopf, und zwar von dem herabschießenden Wasser. Beinahe sämtliche Erwachsenen im Speisesaal wirbelten herum, riefen »Wer war das?!« und tasteten nach Blut. Da ihr Angreifer kein Mensch war, sondern ein donnernder Wasserfall, bekamen sie statt einer Antwort ein ziemlich nasses Gesicht.
Das Durcheinander war erstaunlich. Es gab so viel Geschrei und Geplatsche, dass mehrere Minuten vergingen, bevor die Leute überhaupt begriffen, was geschah. Zusätzlich stieg der Wasserspiegel im Saal rasant an, und einige kamen schon nicht mehr mit den Füßen auf den Boden.
»Die Wasserspeier fließen über!«, brüllte der König und kletterte auf den Tisch, der seinerseits bereits im Wasser schwamm. »Langkralle! Du bist verantwortlich für die Leitungen!«
»Heute Nacht war noch alles in Ordnung, Sire!« Der Affe stieß einen Ertrinkenden zurück ins Wasser. »Jemand muss an den Reglern herumgespielt haben.«
»Das ist unmöglich! Niemand hier im Königreich – « Doch gerade als der König sagen wollte, dass niemand im Königreich etwas von Rohrleitungen verstand, bemerkte er zwei Kinder, beide ungefähr zehn Jahre alt, die durch das Chaos schwammen – und eins davon war seine Nichte!
»Das Mädchen greift an! Schnappt sie euch!«
»Fangt das Mädchen!«, brüllte Langkralle und platschte hinter Peg her.
Wie ihr vielleicht wisst, sind Affen nicht besonders versessen auf Wasser. In der Wildnis trinken sie das Zeug nur, wenn es unbedingt sein muss. Ungefähr einmal im Monat nehmen sie einen kräftigen Zug aus einer Pfütze und speichern alles, was sie nicht sofort brauchen, in dem Buckel zwischen ihren mächtigen Schulterblättern. Prinzessin Peg hingegen war ihr ganzes Leben lang durch Abwasser und Schlamm gewatet. Aus diesem Grund war die Meute blutrünstiger Affen wenig erfolgreich bei ihrem Versuch, die entflohene Thronerbin zu fangen. Sie spritzten und platschten wie wild durchs Wasser, aber Peg war schneller.
Das Mädchen schwamm am Rand des Speisesaals hin und her, um die Aufmerksamkeit von Peter abzulenken. Der wiederum war mittlerweile in der Mitte des Raumes angekommen und hatte Mrs Melasse gefunden. Bevor sie wusste, was los war, tauchte Peter unter und machte sich daran, sie von ihren Fesseln zu befreien. Die Schlösser waren nicht kompliziert, sie hatten fast den gleichen Mechanismus wie die der Spatzen. Er öffnete die Fußschellen und kam an die Oberfläche, um Luft zu holen. »Sie sind frei!«, sagte er und packte sie am Handgelenk. »Und jetzt Luft anhalten!« Er tauchte erneut unter und zog Mrs Melasse hinter sich her.
Unter Wasser bremste Peter seinen Herzschlag und
Weitere Kostenlose Bücher