Peter Nimble und seine magischen Augen
»Bürger, ihr wisst, dass dies der Name des Spions ist, der mich ermorden soll – und diese Frau ist seine Komplizin!«
Mrs Melasse stieß ein erschrockenes Quieken aus. »Nein, Euer Majestät! Mr Trousers ist ein netter Mann! Er war verwundet! Ich wollte ihm helfen und ihm unseren perfekten Palast zeigen!« Sie rutschte auf Knien zu ihm, die gefesselten Hände an die Brust gedrückt. »Er hat nichts davon gesagt, dass er ein Spion ist!«
»Natürlich hat er es nicht gesagt , dummes Weib! Und Sie sind nicht auf die Idee gekommen, ihn zu fragen! Ihre Freundlichkeit « – und er sprach das Wort mit besonderem Widerwillen aus – »hat einen Feind in unsere Mitte geschleust und mein Leben in Gefahr gebracht!« Er wandte sich an das Volk. »Nun, was sollen wir mit ihr machen?«
»Sie bestrafen!«, riefen die Leute.
»Also gut.« Er trat an den langen hölzernen Tisch, packte eine Handvoll Besteck und erhob es über seinen Kopf. »Beweist eure Treue zu mir! Ergreift eure Waffen und bestraft die Verräterin !«
Entsetzt verfolgte Prinzessin Peg das Geschehen. »Das würden sie doch niemals tun …«, flüsterte sie. Doch sie irrte sich. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, schnappte sich jeder unten im Saal ein Messer, eine Gabel oder einenLöffel und rief: »Tötet die Verräterin! Tötet die Verräterin!«
Mrs Melasse zitterte vor Angst, als sie sie fuchtelnd und brüllend umkreisten. Die Affen lachten und freuten sich auf das Schauspiel.
»Tötet die Verräterin! Lang lebe der König!!!«
»Wir müssen etwas tun«, sagte Peg und griff nach Peters Hand. Doch die war nirgends zu finden. Während sie die Menge dort unten beobachtet hatte, war der Meisterdieb verschwunden.
21. Kapitel
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LILLIAN
I hr, die ihr schon einiges über Peter Nimble und seine magischen Augen wisst, habt wahrscheinlich angenommen, dass Pegs Gefährte nicht nur im übertragenen Sinne verschwunden war, sondern wirklich und wahrhaftig. Die Wahrheit war viel einfacher, aber nicht weniger spannend. Als der Meisterdieb den Befehl des Königs hörte, Mrs Melasse zu töten, war ihm klar, dass er etwas tun musste. Wenn diese Frau ihn nicht gefunden und gesund gepflegt hätte, wäre er jetzt tot. Er hatte schon die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet, Pegs Zweifel an seiner Gesinnung ein für alle Mal auszuräumen, und was wäre dazu besser geeignet als eine heldenhafte Rettung?
Peter wusste, dass er keine Chance hatte, die wild gewordeneMeute zu bezwingen, ganz zu schweigen von den Affen. Seine einzige Hoffnung bestand darin, die Leute irgendwie abzulenken; dann hätte er vielleicht eine Gelegenheit, sich in den Saal zu schleichen und Mrs Melasse zu befreien. Aber wie? Er hatte nichts zum Werfen bei sich, das groß genug war, um in einer tobenden Menge auch nur bemerkt zu werden. Also tastete er im Maul des Wasserspeiers nach einem geeigneten Objekt – einem losen Zahn zum Beispiel. Stattdessen stießen seine Finger auf ein rostiges Scharnier, mit dem die Kinnlade der Statue an der Wand befestigt war. Offenbar diente dieser Wasserspeier als eine Art Überlaufventil für den Fall, dass der Wasserdruck in den Tunneln zu hoch wurde.
Der Junge sprang auf und suchte den Tunnel hinter ihm nach einem Schalter oder Hebel ab, mit dem die Schleusen weiter geöffnet werden konnten.
»Peter! Was tust du da?« Peg kam platschend hinterhergelaufen und packte ihn am Ärmel. »Ich dachte schon, dir ist was passiert! Du kannst nicht einfach so verschwinden!«
»Hilf mir oder geh mir aus dem Weg.« Er entriss ihr seinen Arm und vergaß für einen Moment, dass sie königlichen Geblüts war. »Wir müssen diese Frau retten.«
»Wie denn? In spätestens zehn Sekunden zerfetzen sie sie in tausend Stücke!«
»Dann sollten wir uns besser beeilen«, sagte er. »Du kennst dich mit dem Tunnelsystem doch aus – gibt es irgendwo eine Art Hebel, mit dem man die Wassermenge regulieren kann?«
»Eine Art was ?«, entgegnete sie genervt. »Ich hab’s dir doch schon gesagt, die Quellen sind magisch , genau wie die Glocke und die Schlösser und alles andere.«
Peter schob sich an ihr vorbei und ging tiefer in den Tunnelhinein. Die Prinzessin würde ihm keine Hilfe sein, so viel war klar. Unter ihm hörte er, wie Mr Bonnet als Erster mit einer Senfgabel auf Mrs Melasse einhieb. Er zuckte zusammen, als die scharfen Zinken sich in ihr Mieder bohrten und den Stoff zerfetzten. »Ich habe jetzt keine Zeit für Erklärungen«, sagte er. »Bitte hol einfach das
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