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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Sie mich?« Diese Worte klangen so rührend und mitleiderregend, daß ein junger Beamter, der dem Beispiel der andern folgend, ihn einmal verhöhnen wollte, unter dem Eindruck dieser Worte wie vom Blitze getroffen innehielt und seit diesem Vorfalle plötzlich alles in einem andern Licht zu sehen begann. Eine seltsame Macht trennte ihn von allen seinen Kollegen, die er früher für anständige und wohlerzogene Menschen gehalten hatte. Und noch lange nachher, selbst in den fröhlichsten Stunden, tauchte vor ihm oft das Bild des kleinen kahlköpfigen Beamten auf mit den rührenden Worten: »Lassen Sie mich doch! Warum quälen Sie mich?« In diesen Worten klang aber der Ausruf: »Ich bin ja dein Bruder.« Und der arme junge Beamte bedeckte sein Gesicht mit den Händen und zuckte zusammen, wenn er sah, wie unmenschlich oft ein Mensch ist, wie roh und grausam die gebildetsten und erzogensten Menschen sein können, ja, selbst solche, die allgemein für edel und gut gelten …
    Man findet wohl kaum einen Beamten, der so sehr seinem Dienste zugetan ist, wie es Akakij Akakijewitsch war. Er versah seinen Dienst nicht nur mit Eifer – auch mit Liebe. In der ewigen Anfertigung von Abschriften sah er eine abwechselungsreiche und prächtige Welt vor sich. Manchmal strahlte sein Gesicht; unter den Buchstaben hatte er einzelne Lieblinge, und wenn solche vorkamen, war er ganz außer sich vor Freude, er lächelte ihnen freundlich zu, und man konnte in seinem Gesicht wirklich lesen, welchen Buchstaben er gerade schrieb. Wenn die Beförderungen nur vom Eifer der Beamten abhingen, so wäre er zu seinem eigenen Erstaunen wohl längst Staatsrat geworden; alles, was er erreichte, war aber, wie sich seine Kollegen ausdrückten, ein Ehrenzeichen für langjährige treue Dienste nebst den dazu gehörenden Hämorrhoiden.
    Man kann übrigens nicht sagen, daß ihn niemand zu würdigen verstand. Ein Amtsvorstand, der ihn in seiner Herzensgüte für die langen Dienstjahre belohnen wollte, ließ ihm einmal eine Arbeit anvertrauen, die wichtiger war, als das gewöhnliche Abschreiben: er sollte nämlich aus einem fertig vorliegenden Bericht einen neuen für eine andere Behörde machen. Die Arbeit bestand nur in der Abänderung der Überschrift und in der Transponierung der Zeitwörter aus der ersten in die dritte Person. Diese Arbeit strengte ihn so sehr an, daß der Schweiß nur so herunterlief; endlich sagte er:
    »Nein, geben Sie mir lieber etwas zum Abschreiben.«
    Von nun an ließ man ihn nur Abschriften machen. Außer dieser Arbeit hatte er für nichts in der Welt Interesse. Er sah auch nie auf seine Kleidung: sein Rock hatte langst die vorschriftsmäßige grüne Farbe verloren und war nun mehlig-braun. Er trug einen engen, ganz niedrigen Kragen, und sein Hals, der eigentlich gar nicht übermäßig lang war, erschien aus diesem Grunde so lang wie bei den Gipskatzen mit den nickenden Köpfen, die von russischen »Italienern« dutzendweise auf den Köpfen herumgetragen werden. An seinem Rock blieb immer etwas kleben oder hängen, bald ein Endchen Faden, bald ein Heuhalm. Er hatte ferner die ungewöhnliche Fähigkeit, an einem Fenster just in dem Augenblick vorbeizugehen, wenn aus ihm gerade irgendwelcher Unrat auf die Straße geschüttet wurde, und so trug er auf seinem Hut Melonenrinden und ähnliche Abfälle davon. Dem Leben auf der Straße schenkte er nie Beachtung und stach in dieser Beziehung von den jüngeren Beamten ab, die sich freilich etwas zu viel für die Vorgänge auf der Straße interessierten und oft sogar schmunzelnd feststellen, daß bei einem Herrn, der auf der anderen Straßenseite geht, eine Hosenstrippe sich losgemacht hat und baumelt.
    Akakij Akakijewitsch sah überall die gleichmäßig geschriebenen Zeilen vor sich und nur wenn über seiner Schulter plötzlich ein Pferdekopf auftauchte und ihn mit heißem Atem anpustete, bemerkte er, daß er sich nicht mitten in einer Zeile, sondern mitten auf der Straße befand. Zu Hause angelangt, setzte er sich sofort zu Tisch und verschlang seine Kohlsuppe und sein Zwiebelfleisch, ohne auf den Geschmack dieser Speisen zu achten; er aß sie mit den Fliegen und sonstigen Beilagen, die Gott gerade spendete. Sobald er sich gesättigt hatte, zog er ein Tintenfaß hervor und begann Abschriften von mitgebrachten Akten anzufertigen. Wenn fürs Amt gerade nichts zu tun war, machte er Abschriften zu seinem eigenen Vergnügen, mit besonderer Vorliebe von solchen Aktenstücken, die an eine

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