Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
hochstehende oder eine neu ernannte Persönlichkeit gerichtet waren; auf die schöne Fassung und auf den Inhalt sah er weniger.
Selbst in jenen Stunden, wo der graue Petersburger Himmel dunkel wird und das ganze Beamtenvolk seinen Hunger je nach seinem Gehalt und nach seinen Neigungen gestillt hat; wenn alle ausgeruht haben vom Federgekritzel in den Kanzleien, vom Herumrennen in eigenen und fremden Geschäften und von aller Mühe, die der Mensch sich freiwillig und oft mehr als gut ist auferlegt; wenn die Beamten zu Vergnügungen eilen, mit denen sie den Rest des Tages ausfüllen; der eine rennt ins Theater, der andere geht einfach auf die Straße, um den Damen unter die Hüte zu schauen, mancher sucht eine Abendgesellschaft auf, um einem jungen Mädchen – einem Stern des engen Beamtenhimmels – die Cour zu schneiden; die meisten begeben sich zu einem Kollegen, der irgendwo im vierten oder dritten Stock in einer Wohnung von zwei bescheidenen Zimmern nebst Küche oder Vorzimmer haust, die mit einigem modernen Komfort ausgestattet ist – einer Lampe oder einem anderen Luxusgegenstand, der manche Entbehrung gekostet hat; mit einem Wort, selbst in jenen Stunden, wenn die Beamten Whist spielen, Tee trinken, billigen Zwieback knuspern, ihre langen Pfeifen rauchen und in den Spielpausen irgendeinen Klatsch aus der besseren Gesellschaft, für die der Russe in allen Lebenslagen Interesse hat, erörtern, oder aus Ermangelung eines anderen Gesprächsstoffes die alte Anekdote vom Kommandanten, dem gemeldet wurde, jemand habe dem Denkmal Peters des Großen den Schwanz abgehackt, wiedererzählen; kurz, wenn alle Zerstreuung suchen, machte Akakij Akakijewitsch eine Ausnahme. Nie sah man ihn in einer Gesellschaft. Nachdem er sich satt geschrieben, ging er zu Bett und lächelte selig beim Gedanken: was werde ich wohl morgen zum Abschreiben bekommen.
So floß das friedliche Leben dieses Menschen dahin, der bei vierhundert Rubeln Jahresgehalt mit seinem Los zufrieden war; es hätte vielleicht bis ins hohe Altet hinein so fließen können, wenn es nicht verschiedene Mißgeschicke gäbe, mit denen nicht nur der Lebensweg eines Titularrats besät ist, sondern auch der eines Geheimen, eines Wirklichen Geheimen, eines Hofrats wie überhaupt eines jeden Rats, und selbst solcher Leute, die niemand Rat erteilen und niemand um Rat fragen.
In Petersburg haben alle diejenigen, die an die vierhundert Rubel Jahresgehalt bekommen, einen grimmigen Feind: es ist unser nordischer Frost, von dem übrigens behauptet wird, er sei der Gesundheit zuträglich. Um neun Uhr morgens, gerade um die Stunde, wenn die Ministerialbeamten ins Amt gehen, verteilt er an alle, ohne Ansehung der Person, so heftige Nasenstüber, daß die armen Menschen gar nicht wissen, wo sie ihre Nasen hintun sollen. Und wenn der Frost selbst den höchststehenden Beamten so zusetzt, daß sie Kopfschmerzen bekommen und daß ihre Augen tränen, dann sind die armen Titularräte ganz schutzlos. Sie rennen, in ihre dünnen Mäntel gehüllt, was sie rennen können die fünf, sechs Straßen bis zum Amt und trampeln dann im Portierzimmer so lange mit den Beinen, bis sie sich erwärmen und die eingefrorene Begabung zur amtlichen Tätigkeit wieder auftaut.
Akakij Akakijewitsch spürte seit einiger Zeit heftiges Stechen im Rücken und in der einen Schulter, obwohl er den festgesetzten Weg von der Wohnung in die Kanzlei immer im schnellsten Tempo zurücklegte. Und da fiel es ihm ein, sein Mantel müsse nicht ganz in Ordnung sein. Er unterzog ihn gleich einer eingehenden Untersuchung und stellte fest, daß der Stoff an einigen Stellen, und zwar gerade im Rücken und auf der Schulter so dünn wie Kanevas geworden war: das Tuch war ganz durchgewetzt und auch das Futter war arg zerrissen. Es muß hier erwähnt werden, daß dieser Mantel von den Kollegen arg bekrittelt wurde; sie würdigten ihn nicht einmal der Bezeichnung »Mantel« und nannten ihn verächtlich Morgenrock. Der Mantel hatte auch wirklich ein ganz eigentümliches Aussehen: der Kragen wurde von Jahr zu Jahr kleiner, denn er mußte zum Flicken anderer schadhafter Stellen herhalten. Diese Ausbesserungen zeugten von einer nicht allzu großen Kunstfertigkeit des Schneiders und nahmen sich wenig schön aus.
Akakij Akakijewitsch kam zum Entschluß, den Mantel dem Schneider Petrowitsch in Behandlung zu geben. Dieser wohnte irgendwo im vierten Stock eines Hinterhauses und befaßte sich, trotz seines schielenden Auges und seines
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